Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom -"ADHS - Die Einsamkeit in unserer Mitte" Karsten Dietrich
Klar, mach ich!
Hier schon mal der Hinweis, dass die Lektüre sicher spannend wird (wie er es auch selbst ankündigt
Als erstes nennt er sehr sachlich verschiedene Fakten und Erkenntnisse, die (uns) bekannt sind. Für Einsteiger (für die das Buch ja nicht in erster Linie gedacht ist) macht dies sicher Lust darauf, mehr zu erfahren. U.a. führt er Beispiele zusammen aus verschiedenen Studien, um die Folgen einer Nicht-medikation darzulegen.
Er ist der Meinung, dass all die bestehenden "Theorien" nicht schlüssig erklären, WARUM dieses oder jenes so ist wie es ist, stellt die Frage nach "Henne oder Ei",
Er bemängelt, dass viele der diagnostizierten Kinder ("ich bin halt nicht aufmerksam genug") und deren Eltern nicht fundiert genug aufgeklärt wurden.
Die Beschreibung der Typen des hypo- und hyperaktiven ADHS seien „bisher nicht schlüssig erklärt“.
Dietrichs neue Theorie soll dieses Dilemma lösen.
Weitere Mankos seien die fehlende Erkenntnis, WARUM Süchte etc. ableitbar sind,
ebenso fehlt seiner Meinung nach die Erklärung, weshalb sich das Krankheitsbild vom Vorschulalter bis zum Erwachsensein grundlegend verändert.
Die neue Theorie „soll vor allem vorhandenes Leid beschreiben und definieren und eine Einschätzung des zukünftig zu erwartenden Leides ermöglichen“.
Wie gesagt, der Einstieg ist spannend, und meine Erwartungshaltung ist groß.
Liebe Grüße
Micha
#12
Hi Mädels,
ich hab zwar keine Ahnung von dem hier besprochenen Buch, aber es gibt Bemerkungen, Anmerkungen, Hinweise, Kommentare ... zu einem besonderen Umstand, der mich immer wieder auf die Palme bringt. Das muss jetzt raus, bevor ich dran ersticke
HKS, ADS, ADHS knüpfen jeweils an der Symptomatik an, die ANDEREN ins Auge hüpft. Ich bezweifle, dass hyperaktive Grundschulbuben in erster Linie unter ihrer Hyperaktivität leiden - darunter leiden nur ihre Lehrer und mitunter auch ihre Eltern (gerne auch mal der Onkel Doktor, der nach Hibbelphilipps Besuch sein Sprechzimmer wieder aufräumen (lassen) muss). Genauso wenig dürfte für erwachsene ADler eine gewisse motorische Unruhe deren vordringlichstes Problem sein. Wenn man nun an diesen Begriffen ansetzt, findet man eben u.a. keine schlüssige Erklärung fürs Träumerchen oder auch dafür, weswegen sich das Krankheitsbild einer ADHS vom Vorschulalter bis zum Erwachsensein grundlegend verändert.
Beim künftig zu erwartenden Leid wird man in erster Linie darauf abstellen müssen, wie sehr sich Schule und Berufsleben immer noch weiter von irgendwelchen realen Machbarkeiten entfernen. Ein Blick auf die Stellenanzeigen in der Samstagszeitung lässt einem da so manches Licht aufgehen. Ich bin mir relativ sicher, dass wir auf eine Studie über zu erwartendes Leid locker verzichten können.
Es mag ja sein, dass ich diesen Thread nicht aufmerksam genug gelesen habe und dieser Beitrag ist nicht sachdienlich. Falls dem so ist, bitte ich um Vergebung. Ich sitze eben auf der Erregungspalme und dort ist mein ohnehin selektiver Wahrnehmungsstil noch viiiel selektiver.
Liebe Grüße
Susanne
#14
Hi Susanne,
ich lasse dich (noch) alleine auf der Palme hocken, im Moment warte ich neutral gespannt ab, was
Micha noch berichten wird.
Zitat von mama4kids
Dort schmückt er sich mit fett gedruckten Namen bekannter Leute (Prof. Huss, A. Warnke, Prof. Barkley etc...), deren Aussagen ich erstmal "neutral abwartend" einstufen würde und nicht "lobend".
Beispiel: "Herrn Professor Michael Huss aus Mainz danke ich neben seinen kollegialen Rückmeldungen vor allem für seine Äußerung, mein Buch mit Spannung zu erwarten." -
Lass mir aber bitte Platz auf der Palme, vllt. komme ich nach.
LG
Hallo Ihr Lieben,
nun endlich habe ich das Buch gelesen und schiebe einige Bemerkungen nach, wie ich es versprochen hatte.
(Zum Thema Erregungspalme bietet er eine Erklärung an, die ich im folgenden Text auch erwähne.
Karsten Dietrich versteht es sehr geschickt, seine Leser mit auf die Reise zu nehmen; ihn neugierig zu machen auf die von ihm entwickelte Theorie der „fehlangepassten Sicherheitsreaktion“ (TFAS), indem er das „Wir-Gefühl“ aktiviert:
Den „Schmerz in unserer Mitte“, den kennt ja der von ADHS betroffene Mensch, und wenn K.D. dann schreibt: „Wer zu den Betroffenen gehört, lebt in einer tiefen Einsamkeit, auch innerhalb von Familie oder Beziehung. Andere Menschen kennen zu lernen und Freundschaften zu entwickeln ist bei ADHS ein steiniger Weg, der häufig in der Sackgasse endet. Diese Einsamkeit gilt es zu beenden“, - wer liest dann nicht weiter?!
„Die in diesem Buch vorgestellte Theorie beschreibt die unbewusste übersteigerte Wahrnehmung von Unsicherheit als die wesentliche Ursache von ADHS“.
Die genetischen Auffälligkeiten würden dann Einfluss auf die Ausprägung haben, und „psychische Krankheit entsteht, wenn die Sicherheitssysteme zu empfindlich sind und das Gehirn unangemessene Lösungsstrategien entwickelt.“
Das ist seine Hypothese, von der er aber auch bekennt: „Mir ist absolut bewusst, dass die Plausibilität, die sich dem Leser auf den folgenden Seiten erschließt, keine Garantie für Richtigkeit ist und im übelsten Fall direkt in die Irre leiten kann.“
Das hält ihm natürlich einerseits ein Hintertürchen offen, andererseits gebe ich ihm hierfür Sympathiepunkte, genauso wie für seine Einschätzung der Notwendigkeit der Medikation mit MPH:
den „fehlenden Konsens unter den Wissenschaftlern und Behandlern in Ermangelung einer allgemeingültigen Theorie“ hält er für entscheidend, dass es zu Verwirrung und Unbehagen in der Öffentlichkeit kommt, „gerade wenn es um eine dauerhafte medikamentöse Behandlung von Kindern und Jugendlichen geht“.
Karsten Dietrich geht davon aus, dass bei Menschen mit ADHS die Hirnfunktion ständig auf die Wiederherstellung der höchstmöglichen Sicherheit ausgerichtet ist, und die menschlich-kulturelle Lebensführung somit nicht (genügend) trainiert werden kann.
Die Folge der eingeschränkten Interaktion und Kommunikation ist „eine beeinträchtigte Kulturentwicklung der betroffenen Kinder.“
Der ADHS-Patient fühlt sich ständig einer existentiellen Bedrohung ausgesetzt, und deshalb greift eine Therapie nur, wenn wenn eine Stabilisierung der frontolimbischen Verbindung bewirkt wird. Hier wird von ihm u.a. begründet, warum tiefenpsychologische Therapien oftmals nichts bewirken.
Die 3 Kernkriterien der ADHS sind nach seiner Aussage zu erklären als Äußerungen der Steuerung aus dem limbischen System, die auf eine Eigenrettung ausgerichtet sind. Dies erläutert er sehr anschaulich und nachvollziehbar am Beispiel einer Katze in einer Gefahrensituation.
Er bemängelt in dem Zusammenhang, dass die Hypo- und die Hyperaktivität noch nicht schlüssig erklärt seien, und geht in seiner Theorie davon aus, dass die Aggression bei Hypies reaktiv ist zur (vermeintlichen) Gefahrenabwehr (fight), und dass der Hypo unangemessen kooperativ ist zur Konfliktvermeidung (flight or frozen).
Er beklagt das Fehlen eines allgemeinverständlichen Modells zur Erklärung von ADHS, und dass es keine umfassende Theorie zur Entstehung gibt. Auch bei Barcleys „Handlungshemmungstheorie“ fehlt ihm eine Erklärung der Zusammenhänge. Die Diagnostik durch Überprüfen der Symptome und Ausschluss anderer Krankheiten sei beschreibend, aber nicht belegend.
Die Summe der vielfältigen Einschränkungen in der Entwicklung führen zu einer „fehlentwickelten Kulturbefähigung“.
Und meine auf Grund dieses Ausdrucks entstehende Aggression wird durch seine Theorie folgendermaßen erklärt: „Auf der Grundlage der ADHS-typischen Überempfindlichkeit des Sicherheitssinns, der generell auf mangelnde Sicherheit und nicht nur auf gerichtete Angriffe reagiert, entsteht in der Kommunikation mit Mitmenschen eine übersteigerte Angriffswahrnehmung. Jedes Verhalten und jede Äußerung des Kommunikationspartners in Richtung des Betroffenen wird sensibel analysiert und sehr viel schneller als bei einem Gesunden als Angriff gewertet.“
Karsten Dietrich erwähnt, dass Anfragen bei verschiedenen Universitäten keine Möglichkeiten ergaben, an der wissenschaftlichen Bestätigung seiner Theorie zu arbeiten. Schade eigentlich, es wäre neu, spannend und interessant.
Fazit: wenn man sich über einige Aussagen abwartend hinwegsetzt, halte ich es für durchaus lohnend, dieses Buch zu lesen. Man muss es ja nicht direkt auf den Büchertisch legen...
Grüßle
#17
Zitat
Mit Michas Buchbesprechung steht ein Bericht für die Zick Zack 2012
Hallo Ihr Lieben,
seid mir nicht bös, aber ich möchte nicht, dass diese Rezension in der ZickZack erscheint.
Erstens ist es eine subjektiv gefärbte "Beschreibung", und zweitens meinte ich es ernst damit, dass dieses Buch nicht flugs auf dem GK-Büchertisch landen sollte. - Und was ist die ZickZack anderes in diesem Fall...
Das Buch ist für uns gut zu lesen, und ich persönlich hatte ein vergnügliches Abenteuer dabei .
Allerdings haben Winkler, Drischel, Simchen u.a. ähnliche Ansätze und andere Erklärungsmodelle, und deren Schriften (denn Bücher gibt es leider hierzu weder von Martin Winkler noch von Herrn Drischel, soweit ich weiß) würde ich bei Weitem lieber in der ZickZack rezensiert sehen.
Sorry,
wenn ich mal wieder Zeit habe, schreibe ich einen objektiven oder vielleicht auch subjektiven Bericht über ein anderes Buch, der dann auch gern in die ZickZack darf.
Einen schönen 2. Advent wünscht Euch
Micha
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