Jetzt auch dabei
Guten Abend, schon wieder ein Neuer.
Vorstellung lieber im geschlossenen Bereich, weil ich rund drei Jahrzehnte lang hinlängliche Erfahrungen damit gesammelt habe, wie es ist, mit dem Stottern ein gesellschaftlich kaum akzeptiertes Handicap öffentlich vorzeigen zu müssen. Vor drei Jahren hatte ich mich in meinem kreativen Beruf (wieder) festgerannt und bin in depressiver Stimmung letztlich auf Empfehlung zu einem Psychiater gekommen.
Dieser (selbst Fachmann auf dem Gebiet) diagnostizierte bei mir ADS. Obwohl ich mich in den Jahren zuvor viel mit inneren Zusammenhängen beschäftigt habe, wollte ich die Diagnose nicht sofort annehmen, lehnte sie zwar nicht ab, aber ich gab mir Zeit und beschäftigte mich mit der Literatur intensiv rund ein Vierteljahr. Ja, ich bin es. Konnte rückblickend viele Zusammenhänge klar einordnen. Klar, dass Linkshändigkeit, Stottern und (rückblickend erkannt) ADS nicht gerade die besten Voraussetzungen für eine glückliche Schulkarriere gebildet haben, die dann auch 14 Jahre gedauert hat Mir ist bis heute noch schleierhaft, wie ich nach meinem Studium sechs Jahre lang die Organisation und die Kraft und die Struktur für eine 400-seitige Promotion aufgebracht habe - nicht abgeschrieben :-) neben meinem kreativ enorm anstrengenden Beruf.
Mehrere extrem gute, festangestellt berufliche Chancen habe ich in der Folge "verschenkt", weil mich die Routine an der Aufgabe schon nach kurzer Zeit nicht mehr interessierte, Einerseits könnte man daraus die Chronologie des Scheiterns konstruieren, andererseits bin ich mit meinem kleinen Büro eigentlich gut ausgelastet und habe mir um mich herum Strukturen geschaffen, die mich einigermaßen gut arbeiten lassen. Dazu muss ich sagen, dass ich seit 28 Jahren eine äußerst verständnisvolle Partnerin habe - eine fast schon lebensrettenden Konstante. Aber sie organisiert mich nicht, das muss ich schon selbst tun dazu vielleicht mal später mehr.
Nun steht wieder eine berufliche Entscheidung, ein lange erträumter Auftrag an, die Mut erfordert. Mich würde er sehr reizen, habe aber Angst, dass mich die erforderliche Routine und Struktur hinterher wieder nicht gebacken bekomme. Eigentlich bin ich in Gedanken wieder auf dem Weg zu meinem Psychiater um mit ihm die Möglichkeit von Medikamenten zu diskutieren. Bisher bin ich noch ohne ausgekommen, habe es auch eigentlich weiterhin vor. Weiß nicht, wie ich mich entscheiden soll.
Hi Löwenzahn,
herzlich willkommen im Forum des ADHS Deutschland e.V.!
Danke für deine Vorstellung. Wenn du über mehr als die "Medi-ja-oder-nein-Frage" mit uns diskutieren willst, darfst du uns gerne ein bisschen mehr über deinen Beruf erzählen. Hier dürfte es durchaus den einen oder anderen Tipp für mehr Struktur geben.
Zitat von Löwenzahn im Beitrag #1
Nun steht wieder eine berufliche Entscheidung, ein lange erträumter Auftrag an, die Mut erfordert. Mich würde er sehr reizen, habe aber Angst, dass mich die erforderliche Routine und Struktur hinterher wieder nicht gebacken bekomme. Eigentlich bin ich in Gedanken wieder auf dem Weg zu meinem Psychiater um mit ihm die Möglichkeit von Medikamenten zu diskutieren. Bisher bin ich noch ohne ausgekommen, habe es auch eigentlich weiterhin vor. Weiß nicht, wie ich mich entscheiden soll.
Eigentlich hatte ich vor, ohne Brille auszukommen. Doch Mitte Vierzig wurden die Arme zu kurz und ich musste mich nun doch mit dem Gedanken an eine Brille anfreunden. Mit der Brille konnte ich wieder lesen, das hat meine Entscheidung wesentlich beeinflusst.
Nein, ich bin nicht off topic! Ich will dir aufzeigen, dass niemand die Entscheidung für ein Medikament trifft, ohne davon eine Verbesserung zu erwarten. Bei den Medikamenten, die bei ADHS eingesetzt werden, ist es genauso. Du willst dir eine Struktur schaffen und die Routine bewältigen, das ist dein Ziel. Ein Medikament könnte dir helfen, dieses Ziel zu erreichen. Also ... ich würde es nehmen. Wie wichtig ist der Auftrag für dich?
Medikinet adult (Medikinet retard) ist inzwischen für Erwachsene zugelassen, vermutlich wird dir das der Arzt auch verschreiben. Wenn du dazu Fragen hast, dann frag. Dies gilt auch, wenn er dir ein anderes Medikament vorschlägt. Frag uns einfach.
Viele Grüße
Susanne
Danke, Susanne,
bin immer noch Journalist und Autor. Jahrelang auch Redakteur gewesen. Hat wahrscheinlich viel mit familiärer Disposition zu tun. Aber auch damit, dass ich mich früher mündlich nicht vernünftig äußern konnte. Allerdings muss ich in der Branche unterscheiden, zwischen denen, die Nachrichten )produzieren und denen, die sie reproduzieren. Habe mich immer im Bereich von seriösen Tageszeitungen bewegt, bin aber gerne mit Block und Stift losgezogen und habe die Geschichten hereingeholt. Alles, was mit routiniertem Seitenzusammenbauen etc. zusammenhängt, hat mich nicht lange Interessiert. Gehe als studierter Historiker aber auch gerne Dingen extrem genau auf den Grund (Hyperfokussierung?) und habe dort öfter auch in der Recherche Erfolg mit der ADHS-typischen Denkvariante, immer erst einmal die unmöglichste Möglichkeit als wahrscheinlich anzunehmen.
Auch außerhalb des Journalismus leben heute einige Büros und Menschen gut von meinen Ideen - nur ich habe es nie geschafft, dort konstant am Ball zu bleiben und auch den finanziellen Erfolg zu ernten.
Gerade im Mediengewebe kann man Ideen nicht schützen - oder nur die Idee verkaufen. Die Umsetzung wird erwartet. Und da hapert es eben. Es gibt bei mir auch noch mehrere Drehbuchideen, die über das Treatment noch nicht hinausgekommen sind - ich aber vor einigen Jahren schon einmal wichtige Entscheider bei den großen Anstalten dafür begeistert habe. Jetzt scheint sich noch einmal so eine Chance anzubahnen. Diesmal will ich sie nutzen, auch deshalb, weil sich in meinem journalistischen Tageshandwerk die Möglichkeiten freien Arbeitens sehr verschlechtert haben. Ich brenne immer noch für diese Idee, die ich seit einigen Jahren ausrecherchiert habe - unter anderem mit Recherche in London und New York auf eigene Kosten. Dazu gehört Mut (und eine Phase finanzieller Unsicherheit), aber auch die Angst, die Idee geklaut zu bekommen, wenn ich nicht ihre Umsetzung mit verkaufe.
An diesem Punkt bin ich gerade. Ich habe mir im Forum und woanders schon sorgfältig Erfahrungsberichte von Betroffenen durchgelesen, die Medikamente nehmen. Mein Arzt hatte mir damals die Möglichkeit angeboten. Er hatte es von meiner Entscheidung abhängig gemacht. Ich würde vermutlich auch nicht lange zögern, allerdings habe ich Angst, meine Kreativität und meine Ideen ein Stück weit zu verlieren, die ich auch noch in der Umsetzungsphase dringend brauche.
Und bei den "Strukturen" bin ich für jeden Tipp dankbar. Ich arbeite seit mehr als 10 Jahren überwiegend im häuslichen Büro. Beginne den Tag seit Jahren mit einer Joggingrunde, seit einigen Monaten wechsele ich das mit Gymnastik und Yoga ab. Im Büro steht mein Rennrad auf Rollen, um mich richtig auszupowern. Bin ich richtig in der Arbeit, schaffe ich es manchmal, mir für jede Stunde einen Wecker zu stellen und kurz zu bilanzieren, was ich bis dahin geschafft habe (hält mich im Gedanken und in der Konzentration) Ideal ist auch die gute Datenpflege meiner elektronischen Kommunikation, die mich zum voreingestellten Zeitpunkt an Dinge erinnern kann. Das ist für meine guten Phasen, in denen ich den Kopf mit diesen und anderen Tricks immer wieder kurzzeitig in die Spur bringen kann. Natürlich habe ich aber immer Schwierigkeiten mit Abgabeterminen, brauche das Adrenalin und den Tunnelblick, um mich fixieren zu können. Aber manchmal hilft nicht einmal mehr das. Morgen läuft zum Beispiel eine von mir selbst gesetzte Frist ab um ein Buchmanuskript zu übergeben. Ich habe diese Besprechung im Hause der Auftraggeber anberaumt und wollte fertig sein mit dem Manuskript - aber ich werde es nicht schaffen, trotz guter Planung und viel Zeit im Vorfeld. Es gibt eben zu viele gehirnchaotische Phasen, die ich nicht beeinflussen kann. Einige festangestellte Kollegen und auch Freunde halten mich übrigens für gut organisiert :-)
Zitat von Löwenzahn im Beitrag #5
Einige festangestellte Kollegen und auch Freunde halten mich übrigens für gut organisiert :-)
Das sehe ich auch so!
Hi Löwenzahn,
auf Facebook geht ein Spruch herum, dem kann ich nur zustimmen: "Manchmal wünsche ich mir, ich hätte Hausverbot in meinem Kopfkino." Trifft das auf deine Beschreibung "gehirnchaotische Phasen" zu? Nun, die gehören zu uns, sonst wären wir nicht wir. Und wir brauchen solche Phasen - oder unser Kopfkino, wie immer du es nennen willst. Dort sind wir schneller im Denken als die anderen. Dort ist das angesiedelt, was unserem Gesprächspartner fehlt, wenn wir im Gespräch laufend die Themen wechseln. Dort entstehen unsere Ideen und da brüten wir sie auch aus. Du hast einen kreativen Beruf und brauchst dein Kopfkino; auch wenn es manchmal gut wäre, wenn es für eine halbe Stunde die Klappe halten würde.
Ich kann gut verstehen, dass du nur zögernd an die Medikamentenfrage herangehst. Man liest ja so einiges, auch hier und in anderen seriösen Foren. Deshalb muss man wissen: Der Einfluss von Methylphenidat (MPH) auf die Kreativität ist bei jedem Menschen individuell und - mal ganz globalgalaktisch gesehen - bei Kindern anders als bei Erwachsenen.
MPH hat eine Halbwertzeit von zwei bis vier Stunden (tja, schon die Halbwertzeit ist flexibel). Es ist etwa 72 Stunden lang im Urin nachweisbar. Man kann also MPH durchaus mal ausprobieren - sowohl zu Zeiten, an denen strukturierte termingebundene Arbeit ansteht, als auch in Phasen von Chaos im Kopf. So kannst du dir selbst eine Meinung dazu bilden, ob MPH Einfluss auf deine Kreativität hat. Man kann MPH auch einnehmen, wenn man es braucht, und weglassen, wenn man es nicht braucht. Das ist zwar nicht üblich und die Ärzte vertreten zu Recht die Ansicht, die Einnahme sollte regelmäßig erfolgen. Doch auch diese Möglichkeit ist denkbar, wenn Struktur bedürftige und kreative Phasen dein Berufsbild prägen.
Um Missverständnisse zu vermeiden (und weil gerade wieder unsäglicher Schwachfug in den Medien herumgegangen ist): Du als diagnostizierter ADHS'ler kannst in Abstimmung mit deinem behandelnden Arzt austesten, wann dir MPH hilft und wann nicht.
Viele Grüße
Susanne
Danke für den Zuspruch, er tut gut. Und … ja, ich lebe von meiner Kreativität. Aber nicht jede der 1000 Ideen täglich ist gut, sie quälen. Der Ausdruck "Kopfkino" ist meist treffend, aber mir in manchen Phasen ein wenig zu harmlos.
Bei täglichem Stress der einem Routinebetrieb Tageszeitung innewohnt, laufe ich weg. Ich kann mich oft nicht an Abgabezeiten halten … das bedeutet eigentlich das berufliche "Aus".
Irgendwie habe ich es aber trotzdem bis hierher geschafft, mit viel Bewegung (komplett ohne Drogen). Das ist jetzt wirklich keine Prahlerei, sondern ehrliches Erstaunen.
Trotzdem fordert das fortschreitende Alter jetzt seinen Tribut. Vollgas, mit viel Adrenalin und Tunnelblick durch den Stress - das geht immer seltener und nimmt viel zu viel Kraft außerdem ist es eine Motivationsfrage.
Gerade im vergangenen Jahr hat mir mein Körper deutlich gemacht, dass es nicht dauerhaft so weitergehen wird. Bin deshalb dabei Ruhephasen einzubauen - gelingt noch nicht wirklich.
Ja, die Entscheidung über die Medikamente treffe ich alleine. So weit noch klar. Die Angaben über die Wirkungen sind sehr nützlich.
Ich forciere jetzt Ideenentwicklung und Auftrag und lasse das Ganze auf mich zukommen. Will mir nicht schon vorher wieder Ausreden zurechtlegen, warum es nicht klappen könnte.
Das kennt Ihr sicherlich? Aber mal so'n kleines Beispiel von gestern …
Ich sitze mit meinem Sohn im Auto. Wir fahren und unterhalten uns. Nix Besonderes. Plötzlich setzte ich unvermittelt den Blinker, werde langsamer und will auf den Fahrradweg abbiegen, der neben der Straße beginnt. Mein Sohn schaut mich nur fragend an. Da fällt mir ein … ach, ja, Du sitzt ja gar nicht auf dem Fahrrad, bist ja im Auto … Schön, Humor hilft sicherlich.
Und meine Schwester … höchstintelligent … und 1000 prozentige ADHSlerin musste wegen permanenter Reizüberflutung das Autofahren aufgeben, auch auf dem Beifahrersitz leidet sie Höllenqualen. Da habe ich es ja noch gut. Sie lebt in geradezu klösterlicher Abgeschiedenheit, ohne Fernseher und andere Störer, mit Tieren und viel Garten und produziert wunderbare Texte.
Oh ja, Löwenzahn - deine Beispiele sind mir nicht unbekannt!
Ich fahre (leider!) sehr selten Rad. Doch wenn ich tatsächlich mal auf einem Fahrrad sitze, will ich mich undbedingt anschnallen ...
Eigentlich bin ich leidenschaftlicher Autofahrer - am allerliebsten nachts auf der Autobahn und nicht kürzer als 400 km. Doch mit zunehmendem Alter ... ich sollte wirklich nicht mehr ohne Medikamente Auto fahren . Das gilt ganz besonders im Stadtverkehr und bei Ein-und-Ausfahrt-Gewurschtel. Keine Sorge, die Schilder kann ich lesen. Und der Beifahrersitz ... es gibt nur zwei Leute, bei denen ich da ganz entspannt beifahren kann; eine davon ist Regina. Bei allen anderen Fahrern passiert (für mich) alles auf einmal und viel zu schnell.
Kann ich deine Schwester mal besuchen? Ich halte auch die Klappe und verziehe mich mit meinem Laptop (ohne Lautsprecher!) auf die Terrasse oder ohne denselben zu den Tieren. Mal meine Ruhe haben - was für ein Traum!
So, jetzt gehe ich mal meine (wenigstens theoretische) Struktur finden und mache mich ans Tagesgeschäft.
Viele Grüße
Susanne
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