Neu hier und leider ziemlich plan(hilf-)los
Hallo zusammen,
ich bin neu hier, d.h. ich bin schon einige Zeit „stille“ Mitleserin und möchte mich/uns kurz vorstellen. Da ich keinen Beitrag fand, der genau auf uns passte (logisch, jeder ist ja anders) dachte ich, ich fasse mir ein Herz und schreibe selbst.
Wir haben zwei Jungs im Alter von 5 und 8 Jahren. Bei unserem Jüngeren wurde im Juni ADHS festgestellt. Schon mit knapp 2 Jahren war er ein aufgewecktes Kerlchen und man musste ständig auf der Hut sein, dass ihm nichts passierte, weil er eigentlich immer schon „mit dem Kopf durch die Wand“ wollte.
Anfangs glaubten wir, dass er einfach sehr willensstark ist, sein „Köpfchen“ halt immer durchsetzen mag und generell einfach nicht gerne Regeln befolgt. Als sich das ganze immer weiter steigerte und wir mit unseren Erziehungsmethoden an Grenzen stießen, suchten wir eine Erziehungsberatungsstelle auf. Dies half uns vorübergehend etwas und wir fühlten uns „nicht so allein“ mit unserem temperamentvollen Kind.
Dann im Alter von knapp 4 Jahren nahmen dann auch die Probleme im Kindergarten zu. Dass er auch dort nicht zuhören und Regeln befolgen wollte, kam für uns aber dennoch nicht überraschend. Hatten sich seine „Trotzphasen“ zu Hause doch gewaltig verschlimmert.
Besonders schlimm empfanden wir, dass er permanent seinen großen Bruder angeht, sei es mit gezielten Tritten, provokanten Grimassen und Worten. Er lässt kein gutes Haar an seinem Bruder und ich fühle mich fast täglich eher wie eine „Kampf- oder Ringrichterin“ als eine Mutter mit einem Erziehungsauftrag! Oft fangen die Reibereien schon morgens nach dem Aufstehen an oder mein Großer liegt sogar noch im Bett und wird von seinem kleinen Bruder „attackiert“!
Im Gegensatz zu früher gelingt das gemeinsame Spielen schon lange nicht mehr. Die Momente, in welchen es mal keinen Streit oder Schlägerei gab, sind sehr selten geworden.
Die ganze Situation belastet unsere Familie. Hauptsächlich unser Erstgeborener leidet immens unter dieser angespannten Situation. Er weint sehr viel, hat schon mehrfach den Wunsch geäußert, er will von zu Hause weg und auch solche Sätze wie „er möchte sterben, wenn er weiterhin mit seinem Bruder unter einem Dach leben muss“. Auch mein Mann und ich leiden und wissen einfach nicht mehr weiter…
Wir haben uns nach der Diagnose für eine psychologische Therapie bei einer Heilpädagogin, die der Praxis der Kinderpsychiaterin angehört, entschieden. Sie war auch maßgeblich in das Testverfahren involviert und besuchte sogar seinen Kindergarten, um sich ein Bild vor Ort zu machen.
Zusätzlich geht unser Sohn seit ca. 8 Wochen zur Ergotherapie, von der wir uns natürlich auch etwas versprechen und er auch schon große Fortschritte gemacht hat.
Wir klammern uns gewissermaßen an jeden Grashalm und sehen langsam keinen anderen Ausweg mehr als beim nächsten Termin im September doch die Einnahme von Medikamenten anzusprechen. Und hierzu habe ich nun auch Fragen und hoffe dass Ihr mir weiterhelfen könnt.
Darf bei Kindern unter 6 Jahren überhaupt ein Medikament gegeben werden ? Müssten dazu nicht noch weitreichendere Untersuchungen gemacht werden ?
Was würden Medikamente überhaupt bewirken ? Würde sich das aggressive Verhalten gegen seinen Bruder und Auflehnung gegen Erwachsene dadurch bessern ?
Einerseits wären wir froh, wenn wir vieles schon vor der Einschulung „in den Griff bekommen“ könnten, weil ja der Druck in der Schule durch Hausaufgaben noch zunehmen würde. Oder irre ich mich da ?
Natürlich sind wir uns bewusst, dass Medikamente auch nicht alles „richten“ können, aber vielleicht können sie ja helfen, dass sowas wie ein halbwegs harmonisches Familienleben wieder möglich ist. Momentan ist es das nämlich leider gar nicht mehr.
Wäre so dankbar, wenn mir jemand einen Rat wüsste oder auch von eigenen Erfahrungen mit einem ADHS Kind unter 6 Jahren erzählen könnte. Wann wurde es denn bei Euch (bzw. Euren Kindern) festgestellt ?
Fragen über Fragen … und ich will auch niemanden „löchern“.
Freue mich auf Eure Antworten.
Liebe Grüße
Minou
Nachtrag zu meinem Beitrag vom 01.10.14: Wir haben inzwischen den Termin bei der Kinderpsychiaterin wahrgenommen und selbst das Thema Medikamente angesprochen. Daraufhin erhielten wir eine Überweisung an einen Kinderneurologen, welcher ein EEG und eine eingehende neurologische Untersuchung durchführen wird. Zusätzlich noch eine Überweisung an den Kinderarzt mit weiteren Untersuchungen incl. großes BB, EKG etc. (hatten wir gestern).
Ich gehe davon aus, dass diese Untersuchungen notwendig sind, damit die Kinderpsychiaterin ein entsprechendes Medikament überhaupt verabreichen kann, richtig ?
Der Leidensdruck wurde in den letzten Wochen einfach immer größer und daher sahen wir keinen anderen Ausweg als den Weg der Medikation zu gehen . Trotzdem bleibt natürlich das ungute Gefühl, ob wir auch wirklich schon alles ausgeschöpft haben um unserem kleinen Sohn zu helfen... Haben die Empfehlung erhalten beim JA Familienhilfe zu beantragen oder auch eine Familienreha oder -Therapie in Erwägung zu ziehen. Aber dies werden alles langfristige Schritte sein, die uns momentan nicht helfen würden.
Ich frage mich nun halt, bin ich eine "Monstermutter", wenn ich meinem Kind vorschnell solche Medikamente gebe ? Oder wehleidig oder einfach nur zu schwach mit meinem Kind richtig umzugehen ?
Würdet Ihr andere Maßnahmen vorziehen, wenn ja welche ? Eigentlich macht er sich in der neuen Grundschul-Förderklasse recht gut und zählt zu den Kindern, die am motiviertesten sind und mitarbeiten (O-Ton seiner Lehrerin, die wohlgemerkt nichts von der Diagnose weiss)...
Ich verstehe ja selbst nicht, warum ich nun auf einmal Zweifel bekomme zwecks Medikamenten...
Bitte helft mir !!
Liebe Grüße
Minou
Hallo Minou,
herzlich willkommen im Forum des ADHS Deutschland e.V.!
Du schreibst es ja selber:
Zitat
Die ganze Situation belastet unsere Familie. Hauptsächlich unser Erstgeborener leidet immens unter dieser angespannten Situation. Auch mein Mann und ich leiden und wissen einfach nicht mehr weiter…
Es geht euch nicht gut, mit der momentanen Situation, ihr leidet ... und jeder hier kennt ähnliche Situationen aus seiner eigenen Geschichte. Aber weißt du was?: Nicht nur ihr leidet, ... sondern v.a. euer kleiner Sohn leidet unter seinem Verhalten und der Reaktion seiner Umwelt darauf! Und deshalb habt ihr genau das Richtige getan! Ihr habt Euch um Hilfe bemüht, seid den Ursachen auf den Grund gegangen, habt jetzt eine Diagnose und seid auf dem richtigen Weg (therapeutische Begleitung, Ergotherapie)! Das ist doch schon sehr viel! Glückwunsch!
Und trotzdem:
Zitat
und sehen langsam keinen anderen Ausweg mehr als beim nächsten Termin im September doch die Einnahme von Medikamenten anzusprechen. Und hierzu habe ich nun auch Fragen und hoffe dass Ihr mir weiterhelfen könnt.
Ja, so ist es (leider) oft bei ADHS ... als Grundlage für das Wirksamwerden anderer Maßnahmen, ist die medikamentöse Behandlung oft notwendig und damit "der einzige Ausweg". Ich kenne keine Eltern, die sich leichtfertig für eine Medikation entschieden hätten. Wenn das aber der einzige Weg ist, deinem Sohn zu helfen, mit sich, seinen Gefühlen und seinen Mitmenschen besser zurecht zu kommen, dann solltet ihr einen Versuch wagen.
Deine Fragen kannst du hier jederzeit stellen.
Zitat
Darf bei Kindern unter 6 Jahren überhaupt ein Medikament gegeben werden ? Müssten dazu nicht noch weitreichendere Untersuchungen gemacht werden ?
Bei einer ADHS - Diagnostik geht es immer auch um den Ausschluß möglicher anderer Ursachen für das Problemverhalten. Je jünger die Kinder sind, desto schwieriger ist das. Oft werden die Probleme auch erst mit der Einschulung (und den, mit dem Schulalltag verbundenen Anforderungen) für alle deutlich sichtbar.
Wenn aber, wie in eurem Fall, schon vorher die ganze Familie unter der Situation leidet, ist eine Medikation auch schon für Kinder unter 6 Jahren möglich.
Den Termin beim Kinderpsychiater und die weiterreichenden Untersuchungen habt ihr doch schon gemacht ... sehr gut!
Zitat
Was würden Medikamente überhaupt bewirken ? Würde sich das aggressive Verhalten gegen seinen Bruder und Auflehnung gegen Erwachsene dadurch bessern ?
Natürlich sind wir uns bewusst, dass Medikamente auch nicht alles „richten“ können, aber vielleicht können sie ja helfen, dass sowas wie ein halbwegs harmonisches Familienleben wieder möglich ist.
Über die Medikamente liest du am Besten erst mal hier:
Grundsätzliches zu MPH-Medikamenten
und hier:
DIe Geschichte einer Mami (6)
(Beitrag #1)
Zitat
Einerseits wären wir froh, wenn wir vieles schon vor der Einschulung „in den Griff bekommen“ könnten, weil ja der Druck in der Schule durch Hausaufgaben noch zunehmen würde. Oder irre ich mich da ?
Nein!!! Da irrst Du Dich überhaupt nicht! Schule und HA sind DAS ewige Thema für ADHS - Familien ... Eine entspanntere Familiensituation im Vorfeld wäre da sicherlich wünschenswert und hilfreich.
Zitat
Ich frage mich nun halt, bin ich eine "Monstermutter", wenn ich meinem Kind vorschnell solche Medikamente gebe ? Oder wehleidig oder einfach nur zu schwach mit meinem Kind richtig umzugehen ?
Liebe Minou, ich bin mir sicher, dass weder das Eine noch das Andere auf Dich zutrifft.
Im Fall a) wärst Du hier quasi in guter Gesellschaft und gewissermaßen umzingelt von "Monstermüttern" ... in diesem Sinne: Willkommen im Club!
Im Fall b) hättest Du wohl kaum im Vorfeld schon so viel unternommen, um Deinem Kind zu helfen und eure Situation zu verbessern.
Deshalb: Die Antwort ist: Dein Kind hat ADHS ... und braucht Hilfe. Die solltet ihr ihm gewähren. Ohne schlechtes Gewissen und egal was "Andere" darüber sagen oder denken. "Die Anderen" müssen nämlich nicht euer Leben leben.
Einen Versuch ist es allemal wert!
Lass Dich nicht verunsichern, sondern geht euren Weg weiter! Für euer Kind!
Liebe Grüße
lupa
Liebe lupa,
ich möchte mich ganz herzlich für Deine nette Begrüßung und trostreichen Worte bedanken. Danke dass Du Dir die Zeit genommen hast, Dich mit meinem/unserem Thema zu beschäftigen
Tatsächlich fühlt man sich oft allein gelassen mit seinen Sorgen. Deshalb bin ich froh Euch hier gefunden zu haben. Das gibt mir Hoffnung und Kraft
"Die Geschichte einer Mami" habe ich mir gleich als erste durchgelesen, bevor ich überhaupt gepostet hatte... dieser Text ging mir sehr nahe und hat mich letztendlich darin bestärkt mich mit dem Thema "Medikation" auseinanderzusetzen.
Ist es doch am Anfang sehr belastend zu akzeptieren, dass das eigene Kind ADHS hat... es hat wirklich Wochen gedauert bis wir diese Diagnose annehmen konnten. Auch zu verstehen, dass es nicht hilft den Kopf in den Sand zu stecken und fest daran zu glauben, dass es sich von allein wieder "verwächst"
Wir lieben unser Kind über alles, gleichzeitig müssen wir es aber auch vor der Außenwelt schützen ohne ihm das Gefühl zu geben, dass er nicht dazu gehört... Er ist unheimlich freiheitsliebend und am liebsten den ganzen Tag draußen mit seinem Fahrrad oder Roller unterwegs...
Natürlich können wir als Eltern auch nicht ständig und jede Minute bei ihm sein und ihn vor allem abschirmen.
Mich würde z.B. interessieren wie es andere Eltern halten, wenn ihr Kind doch so gerne Zeit im Freien verbringen will...
Wir wohnen glücklicherweise auf dem Land, wo es wenig Verkehr auf den Straßen gibt. Dennoch schwingt halt ständig die Angst mit, dass erlernte Erziehungsregeln einfach vergisst und doch die Straße überquert ohne zu schauen...
Haben für uns nun eine Lösung gefunden, die uns etwas Entlastung bringt. Wir haben ihm eine Armbanduhr mit Alarmfunktion geschenkt. Diese wird immer so eingestellt, dass er alle 15-20 Minuten daheim vorbeischaut. So dass ich weiss es ist alles okay mit ihm :-).
Zwar beschwert er sich über diese "Kontrollfunktion", aber es sorgt auch für etwas Entlastung bei mir und meinem Mann.
Oh, eben fällt mir ein, hätte ich diesen Beitrag lieber extra posten sollen ? Kenn mich hier noch nicht so recht mit den Forumsregeln aus... Deshalb komme ich jetzt mal lieber zum Ende.
Wie gesagt, würde mich interessieren wieviel Freiraum Ihr so Euren Kindern lasst...
Lieben Dank schon mal für Antworten.
Minou
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