Mein Problem mit der Radiofrequenz - ADHS und Kommunikation

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16.08.2019 19:21
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#1
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Lilofee ( gelöscht )

Zitat
Darf ich vorstellen: Ich bin ein Radiosender. Mit schlechtem Empfang. Es rauscht und knistert. Manchmal zumindest. Dann versteht ihr mich nicht. Oder nur die Hälfte. Oder interpretiert alles falsch. Dann glaubt ihr, dass ich anders bin, als ich bin. Dann denkt ihr, dass ich schlechter bin, als ich bin. Dann werft ihr mir Dinge vor, an die ich nicht im Traum gedacht hätte. Dann schimpft ihr mit mir, obwohl ich es doch gut machen wollte. Dann lehnt ihr mich ab, obwohl ich euch liebe. Das tut meinem Herz weh. Das macht mich unendlich traurig. Ich wünschte, wir würden auf der gleichen Frequenz senden. Denn manchmal verstehe ich euch auch nicht...



Hallo zusammen

Natürlich bin ich kein Radiosender. Ich bin bloss eine überaus kluge, kreative junge Frau mit einem grossen Problem: Kommunikation. Egal ob verbal oder nonverbal, bei mir geht ständig etwas schief. Manchmal denke ich ja, dass ich neben ADHS wohl auch noch Asperger haben müsste, aber auf der anderen Seite stimmt das garantiert auch nicht, denn es wäre das einzige Anzeichen. Oder fast das einzige. Aber eine gebildete, ältere Sozialpädagogin mit lauter ADHS- und Asperger-Kindern hat mir eklärt, dass beide Neurodiversitäten ins gleiche Spektrum gehören und dabei auch fliessende Übergänge bestehen können. Das erklärt vieles, finde ich. Es gibt auch sowas wie autistische Züge, auch ohne das einer wirklich autistisch ist. Ich glaube aber auch nicht, dass ich das habe - dafür fällt es mir zu leicht andere Menschen zu durchschauen. Aber ich bin ja schliesslich auch ein diagnostizierter ADHSler.

Und eigentlich entspreche ich absolut meiner Diagnose - mit allen Stärken und Schwächen. In meiner Familie hat die Diagnose sehr vieles vereinfacht. Meiner Mutter ist ein riesiger Stein vom Herzen gefallen (so von wegen, es war nicht meine Erziehung schuld) und es fällt ihr plötzlich viel leichter, mich zu akzeptieren wie ich bin. Sie ist auch super darin meinen jüngeren Geschwistern zu erklären, warum ich mich manchmal verhalte, als wäre ich höchstens halb so alt und Dinge nicht hinbekomme, die sie längst können. Zum Beispiel als ich letztes Jahr den Weihnachtsbaum umgeworfen habe, weil ich wütend war. Oder als ich vor Kurzem weinend aus dem Restaurant gelaufen bin, weil ich so hungrig war, dass ich mich nicht mehr entscheiden konnte, was ich essen soll. Der Radio - wenn wir schon gerade beim Thema sind - war dabei übrigens auch nicht hilfreich. Auf Radios habe ich sowieso irgendwie eine Allergie, die fügen mir beinahe körperliches Umbehagen zu. Ich denke das liegt daran, dass sie mich immer so aus dem Konzept bringen. Ich höre dann echt nichts anderes mehr und kann mich auf nichts anderes mehr konzentrieren.

Wenn es sonst nur auch so einfach wäre mit der Konzentration. Wobei ich schon früh, noch vor der Diagnose, super Strategien entwickelt habe um mit meinen Schwierigkeiten umzugehen. Ich muss schon als Kind intuitiv vieles richtig gemacht haben. Durch meine Schulzeit bin ich recht problemlos gekommen, von ein paar Zwischenfällen und der jährlichen Vorstellung beim Schulpsychologen mal abgesehen. Den mochte ich mit der Zeit recht gerne. Herausgefunden hat er aber nichts. Ich war anhänglich, schüchtern, fröhlich, verträumt, herzlich, verspielt, phantasievoll, offen, kreativ, lebhaft und dabei doch blitzgescheit, lernwillig und begeisterungsfähig. Ich war eine sehr gute Schülerin. Und überhaupt kein typisches ADHS-Kind der damaligen Zeit - schon nur weil ich kein Junge war und nicht im Traum auf die Idee gekommen wäre, auf den Tischen herumzuhüpfen. Man kann es ihm also nicht übel nehmen, auch wenn eine frühere Diagnose mir sicher viel Leid erspart hätte.

Ich war schon immer super darin Informationen miteinander zu verknüpfen, Zusammenhänge zu erkennen und Geschehnisse korrekt zu interpretieren. Das hat es mir in der Schule leichter gemacht. Zum Glück hatten wir mehrheitlich Frontalunterricht und noch keine Wochenhausaufgaben, wie es meine Geschwister haben und hatten. Das hätte ich niemals hingekriegt. Gruppenarbeiten kann ich bis heute absolut nicht leiden und ich komme auch jetzt im Studium noch öfters nicht damit klar. Vorträge waren mir ein Graus und noch im Gymnasium haben sie meist damit geendet, dass ich weinend davon gelaufen bin. Generell zeigt sich meine eigentlich vorhandene Sprachbegabung im mündlichen absolut nicht. Ich kann zwar super schreiben, aber überhaupt nicht reden.

Also, natürlich kann ich schon reden. Aber ich verhasple mich, bilde Redeschlaufen, finde das Ende nicht mehr, hüpfe mitten im Satz zu einem anderen Thema, starre plötzlich gedankenverloren einem Vogel nach, bin abgelenkt vom flackernden Licht oder rede nicht mehr weiter, weil ich vergessen haben, was die Frage war oder was ich sagen wollte. Ihr kennt das... Manche können darüber lachen, andere nervt es tierisch. Das ist auch bei meiner Tollpatschigkeit und Schusseligkeit so. Oder wenn ich mal wieder auf dem Schlauch stehe. Das passiert mir öfters. Besonders im Gespräch mit Leuten, die das mit der direkten Kommunikation nicht so gut drauf haben. Ich spüre dann die Erwartungshanltung, finde in ihren Sätzen aber keine Handlungsanweisung. Oder empfange zwar ihre Kritik, hab aber keine Ahnung auf was sie sich bezieht und was ich denn nun genau ändern sollte. Ich frage dann nach, denn ich möchte es den Leuten die ich mag ja recht machen. Zumindest wenn es nicht gerade gegen meine Grundsatzüberzeugen geht, was ja im Normalfall nicht der Fall ist. Von selber reagiere ich oft falsch und auch wenn ich nachfrage, checke ich oft nicht wirklich, was ich denn nun tun soll oder wie ich das Gehörte umsetzen soll. Oft bin ich dann völlig verwirrt und fühle mich schlecht und hilflos.

Ich weiss eigentlich immer ganz gut, was im anderen gerade abgeht und was er braucht. Ich bin sehr einfühlsam und nehme feinste Veränderungen wahr. Deswegen schätzen mich viele Leute. Und gerade die können es absolut gar nicht verstehen, wenn ich dann manchmal überhaupt nichts mehr checke. Und denen, die wissen, wie intelligent ich bin, fällt es schwer zu verstehen, warum ich manche Dinge nicht besser hinkriege als ein Kleinkind. Mit Hunger umgehen, Impulse kontrollieren, Ungerechtigkeit ertragen, Emotionen kontrollieren, Reizüberflutung aushalten, vernünftig und erwachsen denken und handeln. Das mit dem Denken ist echt ein Problem, ich denke scheinbar völlig anders. Wenn ich nachdenke, dann denke ich nicht geradeaus, sondern ein ganzes Labyrinth - divergent versus linear. Und manchmal verirre ich mich darin, dann geht gar nichts mehr. Dann werde ich voll handlungsunfähig und jemand muss mich retten - wie dort im Restaurant, als meine Mama mir einfach etwas bestellen musste, damit ich überhaupt jemals etwas esse und eine Chance habe mich wieder zu beruhigen. Ausserdem, meine Logik funktioniert anders. Dinge die für mich völlig logisch sind, zum Beispiel dass ich etwas nicht böse gemeint habe, weil ich absolut klar kommuniziere, wenn ich denn tatsächlich böse bin und sonst ein herzensguter und lammfrommer Mensch bin, checkt mein Gegenüber einfach nicht. Und umgekehrt scheine ich einfache Arbeitsanweisungen jeweils zu wörtlich oder zu wenig umfassend zu nehmen oder muss nochmals nachfragen, weil ich nicht völlig genau weiss, was erwartet wird.

Die Kommunikation ist echt mein grösstes Problem. Neben dem, dass ich wesentlich langsamer erwachsen werde als alle anderen. Meine Freunde werden irgendwie immer jünger. Und ich kann den Anforderungen der Gesellschaft immer weniger genügen. War es als Teenie noch entschuldbar, wenn ich mal einen Wutanfall hatte, ist das als junger Erwachsener ein absolutes NoGo. Generell betrifft das mit den Anforderungen ganz oft die emotionale Entwicklung. Und das war auch das erste, was bereits im Kindergarten negativ aufgefallen ist: Ich habe mich NIE altersentsprechend verhalten. Kognitiv war ich um Jahre voraus, emotional um Jahre hintendrein. Und irgendwie wird das immer grösser, glaube ich. Konnte ich in dieser Hinsicht schon als Kind nie genügen, stellt es mich jetzt als Erwachsene vor ganz neue Herausforderungen. Im Studium und noch viel mehr im Job gibt es immer wieder Situationen, in denen ich mich eben nicht erwachsen verhalte. Und die Akzeptanz dafür nimmt ab, je älter dass ich werde. Ich bin kurz davor aus der Ausbildung zu fliegen, weil die sehr seltenen Situationen, in denen ich nicht oder noch weniger wie erwartet funktioniere, mir zum Strick gedreht werden. Und auch sonst, eine Katastrophe jagt die nächste. Es hört nie auf...

Ich gebe mir ja echt von Herzen Mühe alles richtig zu machen. Aber manchmal weiss ich nicht, was richtig wäre bzw. mein richtig finden die anderen falsch und manchmal kann ich das was richtig wäre einfach nicht leisten. Dann genügt mein Bestes nicht. Das ist irgendwie deprimierend und nagt an meinem Selbstwert. Eigentlich finde ich mich selber ganz in Ordnung und ag mich auch so wie ich bin. Aber ich möchte so gerne Menschen glücklich machen und stattdessen sorge ich nur für Probleme. Oder zumindest immer wieder. Und dann auch noch oft die gleichen. In irgendeiner abgewandelten Form, so dass es mir gar nichts nützt, dass ich ganz bestimmt kapiert habe, wie ich in der letzten Situation NICHT hätte handeln / reagieren sollen. Weil dann merke ich es wieder nicht rechtzeitig. Ich frage mich manchmal echt, wie ein überdurchschnittlich intelligenter Mensch dermassen unbeholfen und naiv und irgendwie auch blöd sein kann. Hinterher weiss ich immer was schief gelaufen ist - besser als jeder andere, den ich kenne. Ich bin echt super gut im Reflektieren und so. Nur stolpere ich trotzdem immer wieder in die gleichen Fehler.

Inzwischen bin ich recht vorsichtig geworden mit anderen Menschen, weil ich immer wieder auf Ablehnung gestossen bin. Ich verrate auch keinem mehr mein Alter. Denn ich habe gemerkt, dass ich viel eher angenommen werde wie ich bin, wenn die Leute mich einfach für ein paar Jahr jünger halten. Neben der schieflaufenden Kommunikation und der verzögerten Entwicklung im emotionalen Bereich, habe ich vor allem Schwierigkeiten mit der Selbstregulation - besonders bei Reizüberflutung. Ich habe im letzten Jahr recht gut gelernt, wann es mir zu viel wird. Ich kann inzwischen meistens rechtzeitig etwas dagegen tun und darauf bin ich echt stolz, das war ein harter Kampf. Früher habe ich mich überhaupt nicht gespürt, da war mir nie etwas zu viel. Oder es haben es nur die anderen gemerkt. Aber mit meiner wachsenden Selbstwahrnehmung, hatte plötzlich auch ich selber das Problem, meine Reaktion auf die Reizüberflutung aktiv mitzuerleben. Oder ihr eben passiv ausgeliefert zu sein. Inzwischen kann ich derlei Krisen recht gut vorbeugen (meist mit Flucht / Stillen der Bedürfnisse), einzig mit unausweichbaren Situation wie grosser Hunger ohne die Möglichkeit an Essen zu gelangen oder viele Leute ohne die Möglichkeit zum Rückzug bringen mich noch völlig aus dem Konzept.

Mühe macht mir auch die Kombination aus Gerechtigkeitssinn und Impulsivität. Wehe jemand behandelt vor meinen Augen jemanden schlecht oder handelt ungerecht. Kann natürlich auch mich selber betreffen. Ich bin sonst echt geduldig mit anderen, wenn es nicht gerade ums Reden geht, aber da platzt mir der Kragen. Und zwar sofort und ohne Vorwarnung. Das habe ich echt noch nicht so toll im Griff. Erinnert euch an den oben erwähnten Weihnachtsbaum. Früher bin ich viel schneller wütend geworden, heute braucht es echt viel - ausser eben Ungerechtigkeit. Aber ich muss mir das unbedingt abgewöhnen, denn mein Chef ist echt ziemlich häufig ungerecht. Und wie ich im letzten Gespräch mit meiner Ausbildnerin erfahren habe, ist es ein absolutes NoGo seinen Chef anzuschreien. Wobei das auch wieder unfair ist, denn er schreit mich ja schliesslich auch an. Aber sie sagt, dass das egal ist - er darf das zwar auch nicht, aber ich darf es erst recht nicht.

Ich wollte mal fragen, ob ihr das auch kennt. Und ob ihr irgendwelche Tricks kennt um diesen ständigen, sich wiederholenden Katastrophen aus dem Weg zu gehen. Beziehungsweise den Mechanismus zu durchbrechen. Bei allen anderen Sache wie Vergesslichkeit und Ordnung und Ablenkbarkeit, habe ich irgendwie den Rank bekommen. Aber hier stecke ich fest. Ich habe mir das auch schon durch den Kopf gehen lassen mit einem Coaching oder einer Therapie. Aber ein Coaching ist zu teuer für eine Studentin und es gibt niemanden, der das übernehmen würde. Und bei der Therapie ist es bisher an der richtigen Form gescheitert - über Probleme reden, zieht mich nur runter und verändert nichts. Ich glaube Verhaltenstherapie soll bei ADHS hilfreich sein, aber da gibt es bei uns fast keine Therapeuten, alles nur so langweilige, triste, problemfokussierte Analytiker. Dabei antworte ich auf die Frage, was mein Problem ist, ja schon mal grundsätzlich damit, dass ich keines habe - sondern eher die anderen mit mir. Ich rede lieber von Schwächen, Schwierigkeiten und besser noch Herausforderungen. Und ich kann es auch nicht leiden, wenn jemand mich psychisch krank nennt, nur weil ich ADHS habe. Ich sage dann immer, dass ich, wenn schon, behindert bin und nicht krank. Denn behindert fühle ich mich oft oder manchmal tatsächlich. In dieser normierten Welt, in die ich einfach nicht reinpasse.

Ich würde mich sehr über eure Antworten, Gedanken, Erfahrungen, Tipps & Tricks freuen!

Liebe Grüsse,
Lili

PS: Ich weiss, der Beitrag ist echt lang, aber isch schreibe so gerne und wollte doch wirklich alles wichtige erzählen...


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16.08.2019 22:32
#2
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Hallo Lilofee,

sei willkommen in unserem Forum!

Zitat von Lilofee im Beitrag #1
Ich kann zwar super schreiben, ...

Zitat von Lilofee im Beitrag #1
aber isch schreibe so gerne

Jo, das merkt man . Ganz ehrlich? Ich hab mich bis zum Schluss gefragt, was du uns verkaufen willst .

Zitat von Lilofee im Beitrag #1
Ich wollte mal fragen, ob ihr das auch kennt.

Du bist hier in einem ADHS-Forum - wir kennen das hier alle!

Zitat von Lilofee im Beitrag #1
Und ob ihr irgendwelche Tricks kennt um diesen ständigen, sich wiederholenden Katastrophen aus dem Weg zu gehen.

Mit Tricks kommst du da nicht weit. Verhaltenstherapie kann helfen (und nein, nicht bei einem Analytiker!). Hast du schon mal über eine medikamentöse Therapie nachgedacht?

Beim Durchlesen deines Beitrags sind mir diverse Hinweise auf eine Autismus Spektrums-Störung aufgefallen. Es kann nicht verkehrt sein, in dieser Richtung weiter zu suchen.

Zitat von Lilofee im Beitrag #1
Denn behindert fühle ich mich oft oder manchmal tatsächlich. In dieser normierten Welt, in die ich einfach nicht reinpasse.

Es sind die Normierten in dieser normierten Welt, die uns behindern! A propos normiert ... Du hast mit einem Zitat begonnen. Bitte gib die Quelle dazu an. Die Normierten wollen das leider so - und die sind nun mal in der Mehrheit.

Lesen gefährdet die Dummheit


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16.08.2019 23:40
avatar  Lilofee ( gelöscht )
#3
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Lilofee ( gelöscht )

Ich darf leider meinen Namen nicht veröffentlichen. Also kann ich mein Zitat nicht den Vorschriften gemäss kennzeichnen. Aber das macht nichts, die Urheberrechte liegen bei mir. 😂

Also bei der ADHS-Abklärung haben sie das vonwegen Autismus eigentlich mitgetestet und da war ich punktemässig noch einiges unter dem Grenzwert. Ausserdem gibt es da ganz viele Diagnosekriterien, die absolut gar nicht zutreffen. Also das totale Gegenteil. Aber ich weiss, was du meinst. Trotzdem, ausser sozialen Schwierigkeiten und Hochsensibilität habe ich nichts, was damit im Zusammenhang stehen würde. Und letztlich ist es ja auch egal, was der Grund ist... 🙈

In meine Klasse gehen auch ein paar mit ADHS und da ist mir dann schon aufgefallen, dass die mich recht gut verstehen und auch ähnliche Schwierigkeiten haben. Und doch sind wir auch wieder alle ganz unterschiedlich. Deshalb muss ja nicht unbedingt jeder, der meinen Beitrag gelesen hat, zwangsläufig dieselben Schwierigkeiten in demselben Ausmass haben. Mein Kollege hat zum Beispiel furchtbare Aufschieberitis und das Problem hab ich zum Glück nur selten. Immerhin etwas. 😋

Medikamente hatte ich mal. Das habe ich ein Jahr durchgehalten und dann hat es mir gereicht. In der Zeit habe ich kein einziges Gedicht oder Lied geschrieben, bin nie vor Freude herumgehüpft, war nie tottraurig oder stinkesauer, hab mich ständig mit dem Bus verfahren, konnte andere nicht mehr so gut wahrnehmen und drum auch nicht mehr so toll ermutigen und trösten und vorallem hab ich mich gefühlt wie ein Zombie. Tot und nicht wie ich selbst. Das hat mir das mit den Medis ganz schön versaut. Seitdem probiert immer wieder mal jemand mich zu überreden, aber das geht so nicht. Ich mag mich, so wie ich bin. Und diese leblose Version von mir ist langweilig und doof. Und ihr fehlen all die Eigenschaften, die ich und andere an mir mögen. 😓


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17.08.2019 12:36 (zuletzt bearbeitet: 17.08.2019 12:41)
avatar  Laura S
#4
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Hallo Lilofee,

auch von mir ein herzliches Willkommen im Forum.

Ich gebe zu, ich habe nicht deinen ganzen Text gelesen, wobei ich auch selber dazu neige, öfters eher zu viel zu schreiben- aber das war mir dann selber etwas zuviel.

Deine Frage war, ob wir ähnliche Erfahrungen gemacht haben und ob wir Tipps haben. Wie Susanne schon schrieb, natürlich kennen die meisten hier Probleme mit Kommunikation uä.
Die Frage ist, was für Tipps du dir erhoffst und ob du wirklich etwas ändern möchtest.

Um an etwas arbeiten zu können, muss man sich zumindest ganz klar fragen, was man ändern möchte und was einen belastet. Und bei einer diagnostizierten ADHS sind nun mal Verhaltenstherapie und ggf med. Therapie bekannte Maßnahmen.

Niemand ist gezwungen, Medikamente zu nehmen, allerdings muss ich zugeben, dass mich deine Aussage zu den Medikamenten etwas triggert. Allerdings hast du ja noch nicht genau beschrieben, welches Medikament du genommen hast, in welcher Dosis etc. Es gibt so vieel Möglichkeiten, warum es damit nicht geklappt hat. Es kann sein, dass es einfach nicht das passende Medi war, die falsche Dosis oder dass du zu viel vom Medi erwartet hast etc. Oder aber es stecken noch andere Dinge als eine ADHS dahinter, so dass eine med. Therapie der ADHS nicht ausreichend erfolgreich war. Vielleicht berichtest du uns mal davon, welche Medi du genommen hast, wie viel, wie lange etc. Es ist auch absolut nicht Sinn der Sache, dass Leute einen zu einer med.Therapie "überreden".

Um dir das mit dem "triggern" nochmal genauer zu erläutern. Mich stören deine Aussagen wie: "wie ein Zombie" "tot" "leblos", weil ich das jetzt automatisch erstmal auf Methylphenidat bezogen habe. Vielleicht sprichst du aber auch von einem anderen Wirkstoff, kann auch gut sein, dass ich das überlesen habe. Falls du von MPH sprichst, kann es ja sehr gut sein, dass du überdosiert warst oder einfach das falsche Medikament war. Ich kann es nicht behaupten, dass MPH einen "leblos" oder "tot" macht, denn es ist ein Stimulans und kein Medikament, was sediert. Es beruhigt einen ADHSler aufgrund der biochemischen Vorgänge, die eben bei ADHS anders sind- aber ich habe noch niemanden kennengelernt, der durch MPH zum "Zombie" wurde, man muss aber die richtige Dosis finden und manchmal dauert das einfach länger.

Du sagst, du magst dich so, wie du bist. Das ist doch wunderbar! Was also möchtest du ändern? Was erhoffst du dir an Tipps? Es gibt mehr als Medikamente und Verhaltenstherapie, aber grundsätzlich greift vieles ineinander. Eine Verhaltenstherapie kann teilweise nur mit med. Unterstützung erfolgreich durchgeführt werden, aber es ist immer eine individuelle Sache. Vielleicht solltest du dir erstmal überlegen, was du wirklich ändern möchtest und dir einen guten Arzt und einen guten Therapeuten suchen. Ein Erfolgsrezept können wir dir nicht geben, nur Tipps in einzelnen Dingen. Allerdings müsstest du dann die Fragen etwas konkreter stellen.

Grüße Laura

Jedes Ende ist ein neuer Anfang.


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17.08.2019 13:56
avatar  Lilofee ( gelöscht )
#5
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Lilofee ( gelöscht )

Hallo Laura

Ja, es war Methylphenidat und zwar das Medikament Concerta. Gewirkt hat es. Das war mir und allen anderen schon bei der ersten Einnahme sonnenklar. So richtig bewusst geworden, ist es mir am Morgen im Bus. Wie immer war ich am lesen. Aber ich war eben nur am lesen, zum allerersten Mal in meinem Leben, habe ich nicht gleichzeitig gemerkt, wer noch alles im Bus ist, was die anderen Leute tun, was draussen vor den Fenstern passiert und wo sich der Bus befindet. Es war als ob ich Scheuklappen aufgehabt hätte. Ich war so geschockt, dass ich meine Freundin angerufen habe, worauf die gesagt hat: "Willkommen in der Normalität." Und in der darauf folgenden Woche habe ich keinen einzigen Flüchtigkeitsfehler gemacht und auch keine PostIts übersehen - ich hatte eine Woche ohne Ärger. Es machte mir auch viel weniger aus, wenn mich jemand bei etwas störte, weil ich mich danach noch erinnern konnte, wo ich gerade war. Es war wunderbar! Und alle Leute haben mir plötzlich gesagt, wie "reif" und ruhig ich auf sie wirke. Aber da sind wir eben schon beim Problem. Ich hab mich gar nicht mehr wiedererkannt.

Ich weiss auch gar nicht, warum der Psychiater auf die Idee gekommen ist, das Medikament noch zweimal höher zu dosieren. Die Anfangsdosierung von 18mg hätte gereicht - da bin ich mir inzwischen recht sicher. Ich denke, dass du mit der Überdosierung recht hast. Und auch damit, dass es das falsche Medikament (nicht Wirkstoff) war. Denn die 10-12 Stunden Wirkungszeit waren mir viel zu lange. Viel zu wenig Zeit blieb übrig um einfach ich selbst zu sein. Alles in allem fühlte ich mich einfach sehr stark eingeschränkt. Und nicht mehr wie ich selbst. Und ich kenne tatsächlich einige junge Leute, denen es durchaus ähnlich geht oder ging. Meistens mit dem gleichen Resultat wie bei mir: Ein Therapieabbruch und eine Abneigung gegenüber den Medikamenten. War wohl nach etwa einem Dreivierteljahr. Und zu dem Psychiater bin ich auch nicht mehr gegangen.

Ich habe sogar nochmals aus einer Not heraus einen anderen Psychiater aufgesucht. Mit dem habe ich eine eigentlich gute Lösung gefunden: Ritalin SR (wirkt kürzer) und freie Wochenenden und Ferien. Der andere hatte verlangt, dass ich es immer nehme. Aber es gab ein Missverständnis wegen dem nächsten Termin und er hat meinen Platz vergeben. Seither weiss ich nicht mehr, zu wem ich gehen soll. Und ich bin echt schlecht darin jemanden zu suchen, weil da gibt es soviel zu beachten. Und eben, bei uns gibt es eigentlich kaum auf ADHS spezialisierte Psychiater. Und das wäre schon wichtig, da habe ich bei dem im Sommer schon einen deutlichen Unterschied gemerkt zu dem vorigen Typen. Der hatte wohl eine Zusatzausbildung, aber längst nicht die Erfahrung und das Wissen des anderen. Aber Verhaltenstherapeuten waren soweit ich weiss beide nicht. Und irgendwie habe ich auch Angst vor dem Medikament bekommen. Angst, mich selber zu verlieren.

Ich möchte wissen:
a) Liegt das mit der Kommunikation am ADHS oder an mir als Person? Kennt ihr das auch? Und wenn ja: Wie habt ihr gelernt damit umzugehen?
b) Kennt ihr Tricks um aus Fehlern zu lernen und die neuen Handlungsstrategien auch auf ähnliche Situationen zu übertragen?
c) Wie kann man sich bei totaler Reizüberflutung / echt schlimmem Stress selber regulieren, wenn man der Situation nicht ausweichen kann?
d) Wie kann ich in dieser ungerechten Welt meinen Gerechtigkeitssinn soweit zähmen, dass er mich nicht in Schwierigkeiten bringt?
e) Verzelltet ihr euch auch manchmal in euren Gedanken? Habt ihr einen Weg gefunden, um da wieder rauszufinden und handlungsfähig zu bleiben?
f) Welche Verhaltenstherapie müsste es denn eigentlich sein? Spielt das eine Rolle? Und muss eine ADHS-Spaziealisierung vorhanden sein?
g) Gibt es irgendwelche Kurse oder Camps zum Thema ADHS? Oder etwas mit Theater? Sowas wo man gerade die schweirigen Dinge in der Situation drin üben kann?
h) Hat jemand den Vergleich von Ritalin SR (oder auch LA) und Concerta? Merkt man den Unterschied in der Dauer?
i) Wie gut stehen meine Chancen überhaupt jemals erwachsen zu werden? Und, an die älteren Personen hier: Merkt man im Alter den Unterschied noch?
j) Gibt es ein gelingendes, katastrophenfreies Leben mit ADHS? Falls ihr das hinkriegt: Wie seid ihr dorthingekommen?


Lg, Lilofee


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17.08.2019 15:50
#6
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Liebe Lili,

willkommen in unserem Forum .

Ich gebe zu, die Länge deines Textes hat mich auch überfordert, aber der Vorteil eines Forums ist ja auch, dass man in Etappen lesen kann.

Zu deiner leider missglückten Medikation unterschreibe ich alles, was Laura geschrieben hat. Wenn man sich wie ein Zombie fühlt, dann stimmt schlicht die Medikation nicht richtig. Wenn meine Brillenstärke nicht passt, verschwimmt auch alles - so als Vergleich. Passt dagegen die Brille, renne ich seltener gegen Tischkanten, bin aber gesichert immer noch so ein schräges Huhn wie ohne Brille. Meine Persönlichkeit ändert sich nicht, nur die blauen Flecken werden weniger.

Ich versuche mich mal an Antworten:

Zitat von Lilofee im Beitrag #5


Ich möchte wissen:
a) Liegt das mit der Kommunikation am ADHS oder an mir als Person? Kennt ihr das auch? Und wenn ja: Wie habt ihr gelernt damit umzugehen?


Ich denke mal, beides trifft ein Stück weit zu. Du spürst ja, dass du mit deiner Art zu kommunizieren aneckst. Da sehe ich es als deinen Job, daran zu arbeiten, und zwar trotz ADHS. ADHS ist eine Erklärung, aber keine Ausrede.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5

b) Kennt ihr Tricks um aus Fehlern zu lernen und die neuen Handlungsstrategien auch auf ähnliche Situationen zu übertragen?


Menschen mit ADHS können sehr schlecht aus Fehlern lernen, weil der Zugriff zum Langzeitspeicher im Gehirn nicht schnell genug erfolgt. Sie verautomatisieren daher vieles nicht so gut wie Normgesteuerte, sondern brauchen 18-30 mal so lange, um aus Erfahrungen zu lernen.

Das mit den Tricks funktioniert daher nur dauerhaft, wenn gleichzeitig eine richtige Therapie gemacht wird.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5

c) Wie kann man sich bei totaler Reizüberflutung / echt schlimmem Stress selber regulieren, wenn man der Situation nicht ausweichen kann?


Erst einmal schauen, ob es nicht doch eine kreative Lösung gibt, um aus der Situation herauszukommen. Die Medikation hilft dabei, Reizüberflutung ein wenig zu lindern. Ansonsten gilt, wie oben: pauschale Ratschläge gibt es nicht, das sollte in einer Therapie anhand der individuellen Situation besprochen werden. Meine Tochter setzt sich zum Beispiel Kopfhörer auf und hört laut Musik. Würde ich das in einer reizüberfluteten Situation machen, ginge gar nichts mehr.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5

d) Wie kann ich in dieser ungerechten Welt meinen Gerechtigkeitssinn soweit zähmen, dass er mich nicht in Schwierigkeiten bringt?


Das ist ein Dauerthema an unserem Küchentisch . Ich vermute, meine Töchter sind ungefähr in deinem Alter. Sie diskutieren und politisieren für ihr Leben gern, und sie plappern quasi seit Geburt fast durchgehend - ich habe einen SEHR harten Job daheim...

Erstens solltest du dir bewusst machen, dass du von deiner persönlichen Wahrnehmung von Gerechtigkeit sprichst. Das ist aber nicht allgemeingültig, man kann vieles sehr unterschiedlich bewerten, damit haben sich schon viele Philosophen beschäftigt. Auch wenn Perspektivwechsel für uns ADHSler schwer ist, versuche dir vorzustellen, dass deine Sicht eventuell gar nicht unanfechtbar richtig ist?

Zweitens gilt (leider): Die Welt ist ungerecht. Das war sie schon immer, leider.

Drittens: Teile deine Kraft ein, überlege, wo es sich lohnt, zu kämpfen, und wo es definitiv nichts bringt außer einem emotionalen Aufwand.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5

e) Verzelltet ihr euch auch manchmal in euren Gedanken? Habt ihr einen Weg gefunden, um da wieder rauszufinden und handlungsfähig zu bleiben?


Ja. Dauernd. Ich brauche täglich viel Kraft dafür, wenigstens einen Teil meiner Aufgaben zu erfüllen.

Jetzt gerade bin ich im Büro (ich bin selbständig) und erledige fünf wichtige Vorgänge, weil ich nur noch wenige Tage bis zum Urlaub habe und möglichst wenige offene Fälle zurücklassen möchte. Hier im Forum zu schreiben gehört nicht zu meinem Job , aber wie du siehst, verzettle ich mich gerade...

In einer Therapie lernt man Strategien, und ansonsten gibt es viele Listen mit Tipps, wie man sich halbwegs sortiert. Ich brauche beispielsweise wirklich täglich eine To-do-Liste, sonst starre ich auf meinen Schreibtisch und wache drei Stunden später wieder auf, ohne dass etwas gemacht ist *seufz*.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5

f) Welche Verhaltenstherapie müsste es denn eigentlich sein? Spielt das eine Rolle? Und muss eine ADHS-Spaziealisierung vorhanden sein?


Ich würde zu einem Spezialisten für ADHS gehen und eine klassische Verhaltenstherapie empfehlen.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5

g) Gibt es irgendwelche Kurse oder Camps zum Thema ADHS? Oder etwas mit Theater? Sowas wo man gerade die schweirigen Dinge in der Situation drin üben kann?


ADHS ist keine kleine Lebenskrise, die man mit einem Yoga-Kurs an der Volkshochschule in den Griff bekommen kann. Ich wiederhole mich ungern, aber: Therapie, Therapie, Therapie.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5

h) Hat jemand den Vergleich von Ritalin SR (oder auch LA) und Concerta? Merkt man den Unterschied in der Dauer?


Bei meinem Sohn hat Concerta rein gar nichts gebracht, aber das ist lange her, vielleicht kann hier jemand anderes fundierter antworten.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5

i) Wie gut stehen meine Chancen überhaupt jemals erwachsen zu werden? Und, an die älteren Personen hier: Merkt man im Alter den Unterschied noch?


Definiere "erwachsen" . Nein, das war nur rhetorisch gefragt. Wenn ich mich und manchen anderen betroffenen Saurier hier und in meinem Bekanntenkreis anschaue, dann würde ich mal sagen, erwachsen werden wie nie. Aber wer will schon erwachsen sein ? Ich wünsche mir und vor allem natürlich meinen Kindern, dass wir den Alltag durchaus gut und kompetent regeln können. Wie viel man zum Alltag zählt, ist individuell.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5

j) Gibt es ein gelingendes, katastrophenfreies Leben mit ADHS? Falls ihr das hinkriegt: Wie seid ihr dorthingekommen?


Kein Leben ist katastrophenfrei. Glaub's mir. Ich habe seit Jahrzehnten beruflich mit ganz vielen "Normalos" zu tun, und muss mich ganz ernsthaft um ihre Sorgen kümmern. Das sind Normalo-Sorgen, bei denen ich oft nur mühsam ernst bleiben kann. Bei Stinos mit einem normalen Leben lösen Dinge, über die wir nicht mal länger nachdenken würden, echt große Dramen aus.

"Unser" Leben ist natürlich oft anstrengend. Ich wünsche mir manchmal, nein, oft, eigentlich nur mal ein einziges langweiliges Jahr. Keine Chance. Aber auf der anderen Seite sind wir halt auch Stehaufleutchen - je größer das Chaos, desto mehr laufen wir zu Hochform auf.

Ohne uns würde die Menschheit immer noch in der Höhle sitzen und Feuer suchen, davon bin ich (ganz ernsthaft) überzeugt.

Und jetzt muss ich wirklich was arbeiten *seufz*.

LG, Mandelkern


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18.08.2019 01:42 (zuletzt bearbeitet: 18.08.2019 01:54)
#7
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Zitat von Lilofee im Beitrag #5
a) Liegt das mit der Kommunikation am ADHS oder an mir als Person? Kennt ihr das auch? Und wenn ja: Wie habt ihr gelernt damit umzugehen?

Ja, ich kenne das auch und nein, ich kann nicht damit umgehen - immer noch nicht. Es hat durchaus mit der ADHS zu tun, allerdings würde ich dein spezielles Beispiel eher in der ASS verorten.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5
b) Kennt ihr Tricks um aus Fehlern zu lernen und die neuen Handlungsstrategien auch auf ähnliche Situationen zu übertragen?

Siehe oben - wir arbeiten nicht mit Tricks. Würde sich eine ADHS von Tricks übertölpeln lassen, wäre es keine ADHS.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5
c) Wie kann man sich bei totaler Reizüberflutung / echt schlimmem Stress selber regulieren, wenn man der Situation nicht ausweichen kann?

Wenn ich aus der Situation nicht raus kann, hilft es mir, meinen Blick auf einen einige Meter entfernten Punkt zu richten. Blöd halt, wenn man dann ohne Ende etwas gefragt wird, was man nicht mitbekommen hat.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5
d) Wie kann ich in dieser ungerechten Welt meinen Gerechtigkeitssinn soweit zähmen, dass er mich nicht in Schwierigkeiten bringt?

Meine Tante würde sagen: "Die schwierigste Haltung ist die Maulhaltung." Setz dich nicht ständig für andere Leute ein, das dankt dir niemand und du kannst sie sowieso nicht alle retten. Ist dir selbst Ungerechtigkeit widerfahren, zähle bis zehn, bevor du etwas sagst.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5
e) Verzelltet ihr euch auch manchmal in euren Gedanken? Habt ihr einen Weg gefunden, um da wieder rauszufinden und handlungsfähig zu bleiben?

Ich verzettle mich nicht manchmal - ich verzettle mich immer, jedenfalls fast immer. Aus der Verzettlerei rausfinden kann ich nur, wenn ich alleine bin oder zumindest selbst bestimmen kann, was ich wann wie mache.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5
f) Welche Verhaltenstherapie müsste es denn eigentlich sein? Spielt das eine Rolle? Und muss eine ADHS-Spaziealisierung vorhanden sein?

Kognitive Verhaltenstherapie und ja, der Therapeut sollte schon wissen, was eine ADHS ist. Ich weiß nicht so genau, wie die Therapien bei euch bezeichnet werden und wie du einen passenden Therapeuten finden kannst. Frage doch mal bei Elpos oder adhs20+ nach, die können dir dazu mehr sagen.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5
g) Gibt es irgendwelche Kurse oder Camps zum Thema ADHS? Oder etwas mit Theater? Sowas wo man gerade die schweirigen Dinge in der Situation drin üben kann?

Kurse - gibt es durchaus; Kommunikationskurse bietet das Kolleg DAT, Webinare bietet Dr. Martin Winkler an. Folge ihm auf Facebook, dort findest du nähere Infos zu den Webinaren.

Camps für Menschen mit ADHS oder ASS bietet TOKOL e.V. an.

Theater ... meinst du sowas wie die Tun Fische? Oder google mal nach Theatermafia Münster.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5
h) Hat jemand den Vergleich von Ritalin SR (oder auch LA) und Concerta? Merkt man den Unterschied in der Dauer?

Eine Gegenüberstellung der ADHS-Medis - u.a. auch Ritalin SR und Concerta - findest du bei ADHS365.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5
i) Wie gut stehen meine Chancen überhaupt jemals erwachsen zu werden? Und, an die älteren Personen hier: Merkt man im Alter den Unterschied noch?

Menschen mit ADHS werden nicht erwachsen - sie werden volljährig und fühlen sich dann grundsätzlich zehn bis zwanzig Jahre jünger als der Personalausweis meint. Welchen Unterschied meinst du? Wenn du mal Mitte sechzig bist hast du immer noch ADHS.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5
j) Gibt es ein gelingendes, katastrophenfreies Leben mit ADHS? Falls ihr das hinkriegt: Wie seid ihr dorthingekommen?

Menschen mit ADHS werden nie ein völlig katastrophenfreies Leben haben. Hier wird dir wohl niemand sagen können, wie man dorthin kommt.

Lesen gefährdet die Dummheit


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18.08.2019 02:30
#8
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Zitat von Lilofee im Beitrag #5
Und in der darauf folgenden Woche habe ich keinen einzigen Flüchtigkeitsfehler gemacht und auch keine PostIts übersehen - ich hatte eine Woche ohne Ärger.

Echt? Das ist mir noch nie gelungen. Keine Flüchtigkeitsfehler, nichts übersehen ... kenne ich nicht, das Gefühl.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5
Aber da sind wir eben schon beim Problem. Ich hab mich gar nicht mehr wiedererkannt.

Das ist der Punkt, den ich nicht verstehe. Ich bin ich - mit und ohne Medis. Vermutlich ist das eine selbst erfüllende Prophezeiung aufgrund nicht realer Erwartungshaltung. Der Charakter ändert sich nicht unter Medikation.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5
das Medikament noch zweimal höher zu dosieren. Die Anfangsdosierung von 18mg hätte gereicht

Also Concerta 18 mg, 36 mg und 54 mg ...

Zitat von Lilofee im Beitrag #5
einen anderen Psychiater aufgesucht. Mit dem habe ich eine eigentlich gute Lösung gefunden: Ritalin SR

Öhm, Moment mal ... nur für mich, die nicht mehr so schnell ist ... Du hattest mit 18 mg Concerta eine spürbare Wirkung und Ritalin SR bezeichnest du als gute Lösung? Wie das? Concerta 18 mg entspricht einem durchschnittlichen Wirkungslevel von 5 mg. Eine Ritalin SR enthält 20 mg MPH. Ich finde, das ist ein bisschen viel für jemanden, der mit 18 mg Concerta auskommen würde.

Zitat von Lilofee im Beitrag #5
Und irgendwie habe ich auch Angst vor dem Medikament bekommen. Angst, mich selber zu verlieren.

Siehe oben: selbst erfüllende Prophezeiung.

Lesen gefährdet die Dummheit


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18.08.2019 16:41 (zuletzt bearbeitet: 18.08.2019 16:55)
avatar  AndreaA
#9
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Hallo Lili,

erstmal herzlich willkommen auch von mir hier im Forum. Ich bin zur Zeit leider in einem Gebiet mit schlechten Internetzugang. Deshalb klappt das mit dem zitieren gerade nicht.

ADHS und ASS sind 2 verschiedene seelische Behinderungen die aber durchaus als Kombi auftreten können. Das (autistische) Spektrum ist groß und geht von Minder- bis Hochbegabung. Autistische Züge gehören auch dazu.
"Kennst du einen Autisten, kennst du genau EINEN Autisten." sagt ein wahrer Spruch.

Ich stimme Susanne da auch zu. Ich sehe bei dir auch autistische Verhaltensweisen. Du schreibst, die ADHS und die Autismusdiagnostik wurden zusammen gemacht. Wurde die Diagnostik bei dir hintereinander gemacht? Oder wie kann ich mir das vorstellen?

Ich kann ansonsten meinen Vorschreiberinnen nur zustimmen. Was mir noch einfällt. Warst du mal in einer Selbsthilfegruppe (ich meine eine "reale" , kein Forum im Internet und keine Facebookgruppe).
Auf der Seite vom adhs-Deutschland findest du Adressen. Leider kann ich gerade auch nicht verlinken.
Vor Ort kann man nochmal gezielter helfen, gerade auch bei Fragen zu örtlichen Therapeuten oder Psychiatern.

Viele Grüße
Andrea


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18.08.2019 20:30
avatar  Lilofee ( gelöscht )
#10
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Lilofee ( gelöscht )

Zitat von SusanneG im Beitrag #7
Menschen mit ADHS werden nicht erwachsen - sie werden volljährig und fühlen sich dann grundsätzlich zehn bis zwanzig Jahre jünger als der Personalausweis meint. Welchen Unterschied meinst du? Wenn du mal Mitte sechzig bist hast du immer noch ADHS.


Nein, echt jetzt? Das geht noch MEIN GANZES LEBEN so weiter? Das wächst sich nie aus? Das ist ja furchtbar! Und ich dachte, irgendwann kriege ich es auf die Reihe nicht immer halb zu alt zu sein, wie mein biologisches Alter. Dann habe ich ja irgendwann gar keine Freunde mehr. Oder okay, meine besten Freunde halten es schon so lange mit mir aus, die werden mir wohl nicht verloren gehen. Aber trotzdem, neue Kontakte und so - das wird ja dann immer schwieriger!

Zitat von SusanneG im Beitrag #8
Das ist der Punkt, den ich nicht verstehe. Ich bin ich - mit und ohne Medis. Vermutlich ist das eine selbst erfüllende Prophezeiung aufgrund nicht realer Erwartungshaltung. Der Charakter ändert sich nicht unter Medikation.


Wer redet auch von Charakter. Aber mir kommen nicht mehr tausen Ideen gleichzeitig. Ich bin echt nicht mehr so kreativ. Ich bin nicht mehr überdreht oder zumindest seltener und weniger häufig. Ich denke mehr gerade aus und weniger durcheinander. Aber da geht eben auch was an Fähigkeiten verloren! Aber das ist ja nicht mein Charakter, mehr mein Verhalten. Du musst dir das so vorstellen, wie wenn du liebgewonnene Gewohnheiten hast und die plötzlich nicht mehr ausüben kannst. Und es erstaunt mich, dass dich das so überrascht, denn ich kenne durchaus noch andere Leute, die dieses Empfinden auch hatten.

Zitat von SusanneG im Beitrag #8
Also Concerta 18 mg, 36 mg und 54 mg ...


Nein, 18mg - 27mg - 36mg. Ich weiss nicht, vielleicht gibt es bei euch die Zwischenstufe nicht.

Zitat von AndreaA im Beitrag #9
Ich sehe bei dir auch autistische Verhaltensweisen. Du schreibst, die ADHS und die Autismusdiagnostik wurden zusammen gemacht. Wurde die Diagnostik bei dir hintereinander gemacht? Oder wie kann ich mir das vorstellen


Ich finde das recht spannend. Ich sehe sie durchaus auch. Hypersensibilität - besonders auditive und taktile Wahrnehmung - und eben die Kommunikation. Und ich mag zwar Überraschungen gerne, aber wenn ich mich in herausfordernde Situationen (z.B. Camp) begebe, weiss ich lieber vorher gut Bescheid über Zimmereinteilung und Programm und so. Das kenne ich von jungen Leuten mit Asperger auch. Aber ich sehe auch die Punkte, die sich total widersprechen. Keine Probleme mit Blickkontakt, Mimik und Gestik. Keine Probleme mit emotional tiefgehenden Beziehungen, Gegenseitigkeit besteht. Sehr grosses Empathievermögen, keine Schwierigkeiten in emotionalen Situationen angemessen zu reagieren (im Gegenteil). Die ganze Kindheit hindurch auffallend gute soziale Kompetenzen - Einsatz für andere, Hilfsbereitschaft, Streitschlichten, Trösten. Trotz Schüchternheit grundsätzlich Offenheit gegenüber Fremden und Freude daran neue Leute kennenzulernen. Sehr vielseitige Interessen, die auch immer mal wieder wechseln (manchmal stündlich), grundsätzlich leicht zu begeistern. Keine Stereotypien oder so.

Zitat von AndreaA im Beitrag #9
Warst du mal in einer Selbsthilfegruppe (ich meine eine "reale" , kein Forum im Internet und keine Facebookgruppe).


Nee, ich hab mal gegooglet und in der Nähe gibt es eine, aber die ist bloss für Eltern. Da könnte meine Mutter hingehen, aber ich doch nicht. Ansonsten gibt es in der Region keine.



@SusanneG Danke übrigens für deine Links, genau sowas habe ich gemeint. Macht doch bestimmt viel mehr Spass so.


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