Tage wie dieser können durchaus eine längere Vorlaufzeit haben. Dieser Tag - jedenfalls das, was aus diesem Tag wurde - begann eigentlich schon am Mittwoch, 17. Dezember. An diesem Mittwoch schickte mir mein Chef eine Mail mit dem Termin für eine Fortbildung am 15. Januar in Göppingen. Ich trug den Termin in meinen 14-Monate-Jahresplaner 2014 bei dem Mittwoch in der Monatsmitte ein und übertrug die Einträge vom Januar ein paar Tage später in den neuen 14-Monate-Jahresplaner 2015.
Meine Arbeitstage sind MiDoFr. Also druckte ich am Freitag im Büro noch alles aus, was man so braucht, wenn man nach 43 Jahren wieder mal nach Göppingen fährt: Besagte Mail, die Schulungsunterlagen und die Wegbeschreibung nebst Karte von Googlemaps (ja, ich habe ein Smartphone und nein, es kann momentan weder Anrufe noch mobilen Daten empfangen - aber das ist eine andere Geschichte). Erst zuhause fiel mir dann auf, dass mein Auto gerade nicht einsatzfähig ist. Also vertiefte ich mich am Wochenende in bahn.de. Im Prinzip gab es zwei Möglichkeiten: Erst Bus, dann Zug, Fahrtzeit eine Stunde oder erst S-Bahn, dann Zug, Fahrtzeit anderthalb Stunden. Ich entschied mich für die Weltreise über Stuttgart mit Umsteigen in Bad Cannstatt - also dort, wo ich an jedem Arbeitstag aussteige. Dafür musste ich zehn nach sechs aus dem Haus, also lange vor dem Aufstehen.
Ich lag ganz gut in der Zeit heute früh und räumte mit Sorgfalt meinen Krempel in eine größere Handtasche. Auch die neue Akzente steckte ich als Reiselektüre ein. Karte und Schlüssel vom Büro? Brauch ich heute nicht, lass ich hier. Böser Fehler, doch das wusste ich heute früh noch nicht. Ich schlüpfte in Mantel und Stiefel und riskierte einen Blick auf die Uhr : 19 Minuten nach sechs! Wenn ich die Beine in die Hand nehme und losrenne, sehe ich vielleicht noch, wie viele Busse zum Bahnhof an mir vorbeifahren. Das mit dem Rennen hatte sich dann nach fünfzig Metern erledigt , doch ich gab mein Bestes, um den zehnminütigen Weg zur Bushaltestelle in weniger als sechs Minuten zu schaffen. Da, freier Blick zur Bushaltestelle, noch etwa hundert Meter entfernt ... das war der 74er, das war der E-Bus ... geschafft! Verschwitzt, erhitzt und derangiert erreichte ich die Haltestelle und fragte mich, ob der 35er auch schon raus ist oder ob er vielleicht erst noch kommt ... die Hoffnung stirbt zuletzt.
Der Bus kam mit drei Minuten Verspätung - genau wie ich. Mit dem Busfahrer zu diskutieren, ob ich das Ticket bis Göppingen durchlösen kann oder etwa doch nicht, kann ich vergessen - die S-Bahn wartet nicht. Die Mehrfahrtenkarte in meiner Manteltasche erwies sich als voll . Mit einem fröhlichen "Dennoch" löste ich "einmal drei Zonen bitte" beim Busfahrer. "I muass die Stroßaboh no kriega" (für die Nordies hier der Untertitel zu Wolle Kriwanek: Ich muss diese S-Bahn noch erreichen).
In der S-Bahn lehnte ich mich dann entspannt zurück. Heimspiel bis Bad Cannstatt. 22 Minuten Zeit, um ein Ticket bis Göppingen zu lösen und eine Brezel zu kaufen, in die ich dann auf dem Bänkchen am Bahnsteig von Gleis 8 sitzend genüsslich reinbeißen kann, solange ich auf den Zug nach Göppingen warte. 22 Minuten ... beim Bäcker musste ich anstehen. Der Fahrkartenautomat wollte meinen Zehn-Euro-Schein nicht. Ich klaubte sechs Euro in Münzen zusammen, ein Euro fiel durch, also noch einen. Jetzt gib schon die Fahrkarte her, du Automat, menno, hier ist der Euro, den du nicht wolltest, jetzt spuck endlich die Fahrkarte aus, sofort, die Zeit wird eng, jetzt mach schon! Scheixxglompverr...! "Ist das Ihre Fahrkarte da unten auf dem Boden?" fragte mich ein junges Mädchen. Jaaa, es ist meine! Danke! Sieben Uhr zweiundzwanzig - bis ich bei Gleis 8 bin, ist der Zug weg! Toller Automat .
Der Bahnsteig von Gleis 8 war wie leergefegt. Die Anzeigetafel kündigte einen Zug nach Göppingen an, Abfahrt 7.36 Uhr, Ankunft 8.06 Uhr. Hä? Das ist mein Zug! Wieso fährt der erst jetzt und nicht 7.22 Uhr? Wann bin ich eigentlich hier angekommen? Wie immer? Um 7.08 Uhr? Und wieso war die Zeit so knapp? Da waren doch laut Fahrplan etwa 25 Minuten Zeit zum Umsteigen. Die S-Bahn hatte zwei, drei Minuten Verspätung und die Anzeigetafel zeigte noch 22 Minuten an ... 22 Minuten - nicht 7.22 Uhr . An Tagen wie diesen ...
7.36 Uhr. Ich stieg in den Zug ein, hängte Mantel und Schal an den Haken und vertiefte mich in die neue Akzente. Esslingen. Der Artikel war interessant. Gleich sind wir in Plochingen. Vielleicht sollte ich nochmal nachsehen, ob ich die Adresse richtig im Kopf habe und in welchem Raum die Schulung stattfindet. Ich schaute mir zum gefühlt siebenundzwanzigsten Mal die E-Mail an. Betreff: Unterlagen zur Schulung am 15.01.2015 ... gestern war der 13., dann wäre ja heute der 14. und in diesem Fall wäre die Schulung erst morgen! Der Zug stand schon fast, da schnappte ich Handtasche, Unterlagen, Mantel und Schal und stieg aus. Der nächste Zug nach Stuttgart kam in sechs Minuten.
An Tagen wie diesen ... wünscht man sich - oh nein, liebe Toten Hosen! Unendlichkeit wünscht man sich da ganz sicher nicht! An Tagen wie diesen wünscht man sich ein Loch im Erdboden, in das man versinken kann! Der Song passt nicht zu diesem Tag. Vielleicht sollte ich auf Reinhard Mey ausweichen ... Ankomme Mittwoch den Fünfzehnten am Vierzehnten - Susanne ...
In Bad Cannstatt stieg ich aus und ging Richtung Arbeitsplatz - ohne Mitarbeiter-Karte, ohne Schlüssel. Arbeitszeit einbuchen konnte ich schon mal vergessen. Die Haustür war offen, die Etagentür auch. Ich ging zu meinem Büro. Da stand ich nun, ich armer Tor; die Tür war zu, wie je zuvor.
Wir überspringen das jetzt mit dem Schlüssel, der vergessenen Benutzer-ID und der Suche nach dem Passwort. Potentielle Fehler bei der Arbeit hielten sich hoffentlich in Grenzen, der Heimweg verlief unfallfrei. Und jetzt packe ich meinen Krempel für morgen ein und gehe schlafen - morgen früh muss ich zehn nach sechs aus dem Haus ... siehe oben.
Vielleicht geht ja morgen ein bisschen weniger schief ... ... wünscht sich Susanne
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