Verstärkung der ADHS-Symptome in der Lebensmitte / bei Wendepunkten ?

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28.07.2015 20:44
#1
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Wird ADHS in der Lebensmitte (vorübergehend ?) schlimmer ?

Die Kinder werden erwachsen, wir haben sie irgendwie durch die Schule bekommen, jetzt steht die Berufswahl an. Dass meine Große an der Uni studiert, an der ich war (aber frühzeitig abgebrochen habe, weil ich finanzielle Sorgen hatte und keinen Baföganspruch), dass sie das studieren KONNTE, was mich auch begeistert hätte, hat mich völlig unerwartet in eine tiefe Krise gestürzt. Es überkam mich schrecklich viel Trauer und Wut, aber es hilft nichts, der Zug ist abgefahren, und ich habe ja in einem anderen Bereich eigentlich ganz gut etwas erreicht.

Im Umfeld nehmen Erkrankungen zu. Bei Todesanzeigen kommt immer öfter auch mein Jahrzehnt. Ich bekomme manchmal leichte Angst, dass mir die Zeit ausgeht.

Die eigenen Zipperlein nehmen zu. Ich will das aber nicht !

Die älteren Angehörigen brauchen zunehmend Unterstützung und werden (noch ) schwieriger.

Das ist alles völlig normal im Alter von um die 50.

Ich stelle aber fest, dass meine ADHS-Symptome sich extrem verstärkt haben. Ich liege stundenlang nachts im Bett und bekomme mein eh schon ständig hyperaktives Gehirn gar nicht mehr auch nur ansatzweise ruhig. Schließlich sind einige Grübelthemen dazugekommen, siehe oben. Ich zapple mich durch den Tag, viel mehr als sonst, bin total unruhig und unkonzentriert. Und ich bin schrecklich launisch, komme echt mit mir selbst nicht mehr aus.

Wenn unsere Kinder die Superpubertät haben, dann haben wir wohl die Super-Midlifecrisis, oder als Frau die Super-Wechseljahre, fürchte ich.

Kennt ihr das ? Habt ihr das bereits überstanden - wann wird das besser ? Habt ihr Tipps ?

LG, Mandelkern - grantig


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28.07.2015 23:44
#2
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Zitat von Mandelkern im Beitrag #1
Die älteren Angehörigen brauchen zunehmend Unterstützung ...

Liebe Mandelkern,

was du da schreibst, kann ich nur kopfnickend bestätigen. An der alten Weisheit, dass Frauen ihre Kinder großziehen, ihre Eltern pflegen, ihre Enkelkinder großziehen und ihren Mann pflegen, ist durchaus etwas dran. Die Rente mit 67 kommt erschwerend hinzu.

Zitat von Mandelkern im Beitrag #1
Bei Todesanzeigen kommt immer öfter auch mein Jahrzehnt.

Das ist beängstigend, da stimme ich dir zu.

Zitat von Mandelkern im Beitrag #1
Die eigenen Zipperlein nehmen zu. Ich will das aber nicht !

Oh, ich glaube dir unbesehen, dass du das nicht willst. Ich auch nicht! Das scheint die Zipperlein aber nicht zu stören . Das Wort "irreversibel" gewinnt plötzlich an Wichtigkeit.

Zitat von Mandelkern im Beitrag #1
Ich stelle aber fest, dass meine ADHS-Symptome sich extrem verstärkt haben.

Das hat bei mir fühlbar zugenommen, nachdem meine Mutter gestorben ist. Da war ich 54. Entscheidungen - große und kleine - musste ich seit über vierzig Jahren treffen; nicht nur für mich, vor allem für die Familie. Plötzlich geht das nicht mehr, Entscheidungen erweisen sich zunehmend als falsch. Mein einst legendärer Orientierungssinn ist irgendwo, jedenfalls nicht bei mir.

Zitat von Mandelkern im Beitrag #1
Und ich bin schrecklich launisch, komme echt mit mir selbst nicht mehr aus.

Dann sind wir schon zwei.

Zitat von Mandelkern im Beitrag #1
Wenn unsere Kinder die Superpubertät haben, dann haben wir wohl die Super-Midlifecrisis, oder als Frau die Super-Wechseljahre, fürchte ich.

Mandelkern, das bestätigt uns unsere gemeinsame Bekannte immer wieder. Isso.

Zitat von Mandelkern im Beitrag #1
Habt ihr das bereits überstanden - wann wird das besser ?

Überstanden? Nein. Besser? Keine Ahnung. Doch wenn man unserer gemeinsamen Bekannten Glauben schenkt ... wohl nie.

Zitat von Mandelkern im Beitrag #1
Habt ihr Tipps ?

Gute Frage! Habt ihr Tipps?

Ebenfalls grantige Grüße
Susanne

Verstehen ist Glückssache - Missverständnis ist das Normale.

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29.07.2015 14:05
avatar  Marge_S
#3
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Da stehen sich zwei Sachen gegenüber:

Einerseits nehmen mit zunehmenden Alter die Dopamintransporter ab. Das sind die Dinger, die dafür sorgen, dass unser Gehirn chronisch unterversorgt ist mit Dopamin. Das sollte die ADHS-Problematik eigentlich verringern. Leider ist diese mittlerweile von sekundären Störungen überlagert, und auf die haben die Dopamintransporter keinen Einfluss.

Mit zunehmendem Alter sind wir nicht mehr so leistungsfähig wie in jungen Jahren.
Für manchen von uns schließt sich die Nische, die uns ein symptomfreies Leben ermöglicht hat (Beispiel: Rettungsflieger muss nach Herzinfarkt in einen Bürojob).
Vorsorge, die wir aufgrund von ADHS vernachlässig haben, macht sich bemerkbar (gesundheitlich, finanziell, ...).
Dinge, die wir irgendwann später einmal tun wollten, gehen nicht mehr, weil es jetzt zu spät ist. Das geht sicher allen so, aber mit ADHS merkt man das erst, wenn es endgültig zu spät ist.

Dass davon unser Kopfkino anspringt und ein saublöder Film in Dauerschleife läuft, ist kein Wunder und zieht einen zusätzlich herunter.

Und es ist durchaus erlaubt, deswegen zu trauern.

Anschließend krempelt die Frau mit ADHS die Ärmel hoch und guckt, was noch geht und wo sie noch etwas tolles in ihrem Leben tun und erleben kann.

Liebe Grüße,
Marge

Wer keinen Rat annimmt, muss seine Erfahrungen selbst machen.

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03.08.2015 20:24
#4
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Zitat von Marge_S im Beitrag #3

Anschließend krempelt die Frau mit ADHS die Ärmel hoch und guckt, was noch geht und wo sie noch etwas tolles in ihrem Leben tun und erleben kann.


Danke, Marge, das ist ein schönes Fernziel.

LG, Mandelkern


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31.07.2022 11:02
avatar  JaNi
#5
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Zitat von Mandelkern im Beitrag #1
Wird ADHS in der Lebensmitte (vorübergehend ?) schlimmer ?



Lieben Mandelkern, hast du heute eine Antwort darauf?

Zitat von Mandelkern im Beitrag #1

Ich stelle aber fest, dass meine ADHS-Symptome sich extrem verstärkt haben. Ich liege stundenlang nachts im Bett und bekomme mein eh schon ständig hyperaktives Gehirn gar nicht mehr auch nur ansatzweise ruhig. Schließlich sind einige Grübelthemen dazugekommen, siehe oben. Ich zapple mich durch den Tag, viel mehr als sonst, bin total unruhig und unkonzentriert. Und ich bin schrecklich launisch, komme echt mit mir selbst nicht mehr aus.



Genauso geht es mir seit geraumer Zeit… kann mich oft selbst nicht leiden, weil ich so launisch bin, nicht nur manchmal, viel zu oft.
Und mein Kopf gibt auch zum schlafen keine Ruhe, da hilft auch kein Melatonin. Bin dann zwar hundemüde, aber einschlafen geht trotzdem nicht.

LG JaNi

Umwege erhöhen die Ortskenntnis.

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31.07.2022 14:52
#6
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Liebe Mandelkern,

deine Gedanken sind seit Jahren auch meine Gedanken…
Treffend formuliert - danke dafür!

Was ihr alle geschrieben habt, kann ich leider nur bestätigen.

Aber:
Mit Fernzielen zu arbeiten bringt überhaupt nichts. Wann, wenn nicht jetzt? Weiß ich, ob das in fünf oder zehn Jahren noch klappt?
Vielleicht liege ich da schon unter der Erde…

Ein Ex-Kollege von mir wollte nach der Rente unbedingt nach Neuseeland reisen. Er hat mir über 20 Jahre davon vorgeschwärmt. Jetzt ist er 86 Jahre und war immer noch nicht dort…

Wenn der Wunsch wirklich so stark ist,
muss man es jetzt machen oder den Wunsch loslassen.


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31.07.2022 22:17
#7
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Zitat von JaNi im Beitrag #5
Zitat von Mandelkern im Beitrag #1
Wird ADHS in der Lebensmitte (vorübergehend ?) schlimmer ?



Liebe Mandelkern, hast du heute eine Antwort darauf?




Liebe JaNi,

meine ganz persönliche Antwort darauf ist ein klares JA.

Die Wechseljahre haben mich teilweise echt sehr gebeutelt haben. Und zwar ausgerechnet mich: Weder habe ich ein Problem mit dem Alter an sich, noch trauere ich um meine Fruchtbarkeit oder so, und ich war auch davon überzeugt, je weniger ich mich damit beschäftige, desto geräuschloser komme ich durch. Das fanden meine Hormone ganz schön affig und haben mir gezeigt, was sie anrichten können. Schlafen ging noch schlechter. Ich habe in allen Lebenslagen anfallsweise so dermaßen geschwitzt, dass ich bei Besprechungen immer ein Taschentuch zum Abwischen brauchte, und mich bis zu dreimal täglich umziehen musste. Meine Laune war phasenweise einfach nur noch Achterbahn, das war wirklich schlimm.

Mein Hirn hatte Aussetzer vom Feinsten, meine Konzentration verabschiedete sich, ich hatte manchmal echt Sorge, dass ich dement bin, das war wirklich eine Super-ADHS.

Aber das war zum Glück nicht durchgehend so. Ich hatte dazwischen immer wieder ein paar "Erholungswochen". Im Laufe der Jahre wurden die ruhigeren Phasen immer länger, und jetzt bin ich wohl weitgehend durch.

Ich weiß nicht, was hilft, denn immer, wenn ich mich dazu entschieden hatte, meine Ärztin zu befragen, fing eine bessere Phase an, daher kam ich ohne Medikamente durch.

Daher kann ich dir nur als Trost sagen: Es ist nur eine Phase! Halte durch, aber hol dir ärztliche Hilfe, wenn es zu schlimm wird. Viel Kraft, und sei gnädig zu dir selbst, auch wenn du zwischendurch zur übellaunigen Giftnudel mutierst - das ist dann eben so. Wir haben jahrelang funktioniert und die Ausbrüche unserer ADHS-Kinder ausgehalten, jetzt dürfen wir auch mal von der Rolle sein.


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31.07.2022 22:31
#8
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Liebe Apollinaris,


Zitat von Apollinaris im Beitrag #6

Aber:
Mit Fernzielen zu arbeiten bringt überhaupt nichts. Wann, wenn nicht jetzt? Weiß ich, ob das in fünf oder zehn Jahren noch klappt?
Vielleicht liege ich da schon unter der Erde…



Absolut, unbedingt, das unterschreibe ich sofort!

Mein Mann und seine Kumpels sind früher Motorrad gefahren, haben alle aufgehört, als sie Kinder bekommen haben. Inzwischen fährt mein Mann (leider) wieder ab und zu, und er hat auf einer Geburtstagsparty - unserer letzten Party vor Ankunft der Pandemie hier in D - seinen und auch längst meinen besten Freund gefragt, ob er mal wieder mitfährt. Der Freund hat erst spät Kinder bekommen, sie waren da noch Teenager, und er meinte, er wolle noch die paar Jahre warten, bis sie volljährig sind. Sein Motorrad hatte er in seinem Büro (!) stehen und staubte es immer liebevoll ab.

Wenige Wochen später fiel er nach eine Radtour einfach tot um. Das war für uns alle so ein Schock und ein Denkzettel, das kann ich gar nicht ausdrücken.

Außer dem Motorradfahren hat unser Freund aber tatsächlich sein Leben gelebt und so gut wie nichts verschoben. Das war dann doch ein kleiner Trost.

Vieles geht halt in der Praxis nicht, aus Zeitmangel, weil das Geld fehlt, oder aus anderen Gründen. Aber das, was irgendwie möglich ist, sollten wir spätestens in der Lebensmitte nicht mehr aufschieben.

Oh weia, ich klinge wie eine uralte Frau, sorry. Ist gerade keine so gute Zeit für mich, bin gesundheitlich angeschlagen (nicht lebensbedrohlich!) und muss vielleicht den einen oder anderen Plan aufgeben *seufz*.

Also, WIR hier lesen und sehen uns bitteschön auch in zehn Jahren noch in alter Frische !

Und, Apollinaris, ich sag mal: Bodensee...


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01.08.2022 14:54
avatar  JaNi
#9
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Danke Mandelkern.

Ich dachte mir, jetzt wird’s endlich mal „normal“. Kind hat die Schule geschafft und ist so einigermaßen „in der Spur“…

Aber jetzt geht die nächste Baustelle los, ok… Zum Glück ist mein Mann meistens ganz lieb und steht nur verwundert daneben, wenn ich wegen Nichtigkeiten an die Decke gehe.

Nur fühle ich mich so ja auch nicht wohl. Habe letztens einem Typen aus dem Autos heraus den Stinkefinger gezeigt. Also damit auf seinen Stinkefinger an mich reagiert. Am liebsten wäre ich ausgestiegen und hätte den angebrüllt.

So bin ich aber gar nicht. Mein Kind (der ja grds. seit der Pubertät selten mit mir einverstanden ist), meinte kürzlich, „Mama, wenn alle so fahren würden wie du, wäre das viel entspannter…“ Als Fahranfänger wird er gerne mal von anderen Autofahrern erzieherisch angehupt.

Wie du das ohne ADHS Medikation überstanden hast, ist für mich unvorstellbar. Habe den Eindruck, ohne ginge es überhaupt nicht mehr.

Das das jetzt auch mal wieder eine Phase, die irgendwann vorbei geht, beruhigt mich.

Lieben Dank und dir alles Gute für deine Gesundheit. Wenn ich das richtig verstanden habe, plagst du dich mit Long Covid herum… das tut mir sehr leid. Leider gibt’s da ja noch keine wirklich hilfreichen Therapien, bis auf die Apharese.
Hierzu gibt’s in der ARD Mediathek eine ganz interessante Hirschhausen Reportage:

https://www.daserste.de/information/ratg...delten-100.html

Die 15 Jährige meiner Freundin konnte deshalb seit Dezember nicht mehr zur Schule gehen. Sie muss nun die 9. Klasse wiederholen, was das Kind sehr traurig macht. Aber nach 5-6 Monaten wurde sie langsam wieder belastbarer.

Ich drücke dir die Daumen, dass es dir bald wieder besser geht.

Umwege erhöhen die Ortskenntnis.

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01.08.2022 17:03
#10
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Wie in der Pubertät muss man auch in den Wechseljahren mal hinterfragen, ob die Dosierung noch stimmt und/oder gewisse unerwünschte Nebenwirkungen noch immer vorhanden sind.

Ab Mitte 50 wurde es anstrengend. Negative Erlebnisse und Erfahrungen reihten sich aneinander und ich kann nicht sagen, wie es meiner ADHS ohne diese Ereignisse ergangen wäre. Als mein Mann pflegebedürftig wurde, war ich 61; seitdem geht's bergab. Ich bin zu 98 % fremdgesteuert, brauche unbedingt meine Medis und kann nicht sagen, ob die kleineren und größeren Ausfallerscheinungen im Kopf jetzt von der ADHS befeuert werden oder ob es einfach diese Fremdsteuerung ist, die an meinem Verstand nagt. Wobei mir diese Ausfallerscheinungen deutlich mehr Kummer bereiten als die ADHS-Symptome.

Will man den "Fachleuten" glauben, verändern sich die ADHS-Symptome und deren Intensität im Alter von 60 Jahren, weil dann bei den Senioren durch den Wegfall der Berufstätigkeit die bisherige Struktur wegbricht. Finde den Fehler!

Ich gehe mit, dass man mit zunehmendem Alter diverse Änderungen in den Lebensumständen nicht mehr so gut wegsteckt wie in jüngeren Jahren und dass das die ADHS dann als Aufforderung sieht, über die Stränge zu schlagen.

Sowohl Auto fahren als auch das ganze IT-Zeugs ist mir über den Kopf gewachsen, selbst das neue Parkleitsystem am Flughafen hätte mich ohne Schwiegersohn neben mir zur Verzweiflung gebracht. Ich will bitte daran glauben dürfen, dass es "nur" an der 24/7-Fremdsteuerung liegt und dass ich das mit etwas Ruhe durchaus bewältigen könnte. Naja, weiß man's?

Lesen gefährdet die Dummheit


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