Vorstellung

05.09.2016 19:06
avatar  Tilly Dunnage ( gelöscht )
#1
avatar
Tilly Dunnage ( gelöscht )

HAllo in die Runde,

mein Sohn ist 8 Jahre und wir haben erst seit kurzem eine ADHS-Diagnose. Ich bin noch irgendwie ungeklärt und meine Gefühle diesbezüglich sind noch auf der Achterbahn. Einerseits denke ich, na ja, dann lag das also doch nicht an meinem erziehen,so wie mir das Umfeld immer signalisierte, andererseits fürchte ich mich vor dem was noch auf uns zu kommt.

Seltsam war und ist, dass nahezu alle, die mit unserem Sohn zu tun haben, eher überrascht sind, dass er ADHS haben könnte. Zumindest mal der Hort und der frühere Kindergarten und auch Freunde. Alle fanden/finden, dass er so ein tolles und soziales Kind ist. Aufgefallen ist es im Rahmen einer LRS-Testung. Ich tue mich schwer abzugrenzen, was an seinem Verhalten altersgemäßes Quatsch machen und rumgeturne ist und was mit dem ADHS zusammen hängt.

Neulich war eine 4fachen Jungsmama da, die findet meinen Sohn eigentlich ganz normal und eher ruhig. Im Gegensatz zu ihrem jüngsten Sohn, der mit meinem Sohn befreundet ist, war meiner deutlich ruhiger. In der Zweierkombi haben sie allerdings aufgedreht. Für mich war das too much, der anderen Mutter hingegen hat das nichts ausgemacht. Sie hat nur abgewunken: "Jungs, eben." Nun frage ich mich, da vieles anhand von Fragebögen, die ICH ausgefüllt habe, bewertet wird, ob diese Diagnose auch gestellt worden wäre, wenn diese Mutter den Fragebogen ausgefüllt hätte. Getestet wurde von einem privaten Institut und wir haben paralle noch eine andere Testung vornehmen lassen. DAs Ergebnis erfahren wir allerdings erst am Donnerstag.

Im Alltag ist der Knirps schon ab und zu nevig. Man muss alles mehrmals sagen, er ist unkonzentriert, vergisst vieles, hat aber ein Super-Langzeitgedächtnis, bei körperlichen Aktivitäten hingegen, vorzugsweise draußen, ist er begeistert, macht toll mit. Alles körperliche fällt ihm ohnehin sehr leicht, ist sehr sportlich, macht Kunstturnen, hat sich mit 5 das schwimmen selbst beigebracht und hat eine tolle Körperbeherrschung. Aber er hibbelt ständig rum, was bei Dingen, wie gemeinsames Essen natürlich auffällt und stört. Schularbeiten macht er im Hort (Gott sei Dank), da machen alle Hausaufgaben und in der Gruppendynamik klappt das gut, die Horterzieherin hilft ihm und von ihr nimmt er es besser an als von mir. Das Schriftbild ist krakelig, aber schon sehr gebessert, die Rechtschreibung ist aufgrund der LRS entsprechend schlecht. Wenn das Kind was zu tun hat, was ihm Spaß macht, dann ist er ein angenehmes Kind. Wenn er sich langweilt, dann stresst er alle. Wenn er mal übers Wochenende weg ist sind wir immer überrascht, wie leise Kinder sein können (wir haben 3).

In der Schule hat sich sein Verhalten gebessert. In der 1. Klasse hat er ziemlich den Clown gemacht. Insgesamt muss man ihn da aber häufig zum mitmachen anhalten. Bei für ihn spannenden Themen ist er dabei, weiß viel und macht mit, aber wehe, ihn langweilt was.


Gibt es hier eigentlich noch mehr ADHS-Kinder, die eher unauffällig sind? Hätte er keine LRS, dann wäre das wohl nie getestet worden und man hätte ihn einfach für ein etwas wilderes Kind gehalten. Schließlich gibt es ja auch temperamentbedingte Verhaltensunterschiede. Zeitweise strengt er mich schon sehr an, aber das tun auch Kinder ohne ADHS.

Meine Gedanken sind grad noch etwas wirr. Sorry, bin noch am sortieren. Vielleicht möchte mir jemand von seinen Kindern, die auch eher unauffällig sind berichten.


 Antworten

 Beitrag melden
05.09.2016 20:46
avatar  lupa
#2
avatar

Hallo Tilly,

herzlich willkommen hier bei uns im Forum!

Zitat
Einerseits denke ich, na ja, dann lag das also doch nicht an meinem erziehen,so wie mir das Umfeld immer signalisierte, andererseits fürchte ich mich vor dem was noch auf uns zu kommt.


Ich würde mal behaupten, so ging es am Anfang jedem ... die Erfahrung zeigt: am Ende siegt die Erleichterung, weil "das anders sein" jetzt einen Namen hat und man gezielt daran arbeiten kann.
Und was konkret befürchtest Du, was auf Euch zukommen könnte!? Natürlich hält das Leben mit einem ADHS - Kind immer Überraschungen bereit ... aber bisher seid ihr ja scheinbar ganz gut zurecht gekomkmen. Die Diagnose allein wird daran ja nichts ändern.

Zitat
Seltsam war und ist, dass nahezu alle, die mit unserem Sohn zu tun haben, eher überrascht sind, dass er ADHS haben könnte. Zumindest mal der Hort und der frühere Kindergarten und auch Freunde.


Das ist nicht seltsam ... seltsam fände ich, wenn Hort, Kindergarten und Freunde eine ADHS - Diagnose stellen könnten. Dann bräuchte es dafür ja keinen Facharzt. Will sagen: ein Kind muss nicht über Tische und Bänke gehen und dazu rotzfrech und unerzogen sein, damit es eine ADHS haben kann.

Zitat
Alle fanden/finden, dass er so ein tolles und soziales Kind ist.


Das trifft auf eigentlich alle Kinder hier zu ... sie sind tolle, soziale Kinder ... und haben eine ADHS.

Zitat
Getestet wurde von einem privaten Institut ...


???

Zitat
... und wir haben paralle noch eine andere Testung vornehmen lassen.


Und wo? (Bitte KEIN Ort / Name! - die Frage zielt auf die Art der Institution: SPZ, Kinderarzt, Ki - u. Jug.psychiater?)

Zitat
Im Alltag ist der Knirps schon ab und zu nevig. Man muss alles mehrmals sagen, er ist unkonzentriert, vergisst vieles
[...] Aber er hibbelt ständig rum, was bei Dingen, wie gemeinsames Essen natürlich auffällt und stört.


ADHS eben ...

Zitat
bei körperlichen Aktivitäten hingegen, vorzugsweise draußen, ist er begeistert, macht toll mit. Alles körperliche fällt ihm ohnehin sehr leicht, ist sehr sportlich, macht Kunstturnen, hat sich mit 5 das schwimmen selbst beigebracht und hat eine tolle Körperbeherrschung.


Auch das dürfte bei vielen hier ähnlich sein. Unsere Kinder bewegen sich gern, viel und oft sehr geschickt.

Zitat
Wenn das Kind was zu tun hat, was ihm Spaß macht, dann ist er ein angenehmes Kind. Wenn er sich langweilt, dann stresst er alle.
[...]
Bei für ihn spannenden Themen ist er dabei, weiß viel und macht mit, aber wehe, ihn langweilt was.


Das ist wirklich absolut typisch! Bei allem, was subjektiv neu und spannend ist, können sich unsere Kinder sehr gut konzentrieren, auch über einen längeren ... oder sogar sehr langen Zeitraum (Stichwort: "Hyperfokus"). Empfinden sie aber etwas als langweilig, fällt es ihnen sehr schwer, sich zu motivieren (oder sich motivieren zu lassen).

Zitat
Hätte er keine LRS, dann wäre das wohl nie getestet worden und man hätte ihn einfach für ein etwas wilderes Kind gehalten.


DAS wiederum wage ich zu bezweifeln. Vielleicht wäre es NOCH nicht aufgefallen ... gut begabte Kinder können oft lange kompensieren. Irgendwann aber FÄLLT die ADHS auf ... und je später das passiert, um so gravierender sind dann oft die Folgen. Also kannst Du eigentlich froh sein, dass ihr jetzt über die LRS - Testung drauf gekommen seid.

Ich kopiere Dir hier mal einen Beitrag aus einem anderen Thread ein:

Zitat von SusanneG im Beitrag Thread von Devi
Wir müssen hier zwei grundverschiedene Dinge unterscheiden: zum einen die ADHS, zum anderen ADHS-Symptome.

Hyperaktivität, Impulsivität und mangelnde Aufmerksamkeit sind zwar die bekanntesten Symptome, doch das reicht bei Weitem nicht für eine Diagnose. Untrennbar mit der ADHS verbunden ist die Dysregulation der Emotionen, der exekutiven Funktionen und der autonomen Selbststeuerung. DAS ist das Anders-Sein, aus dem sich so viele Folgeerkrankungen entwickeln, die uns dann als Erwachsene quälen.

Bleiben wir mal bei den drei Kernsymptomen der ADHS, die an jedem Stammtisch diskutiert werden: Hyperaktivität, Impulsivität und mangelnde Aufmerksamkeit. Kinder mit ADHS zeigen diese Symptome. Wenn man neurotypischen Kindern z.B. den Schlaf entzieht, sie auditiver oder visueller Reizüberflutung oder starkem Leistungsdruck aussetzt, sie ungesund ernährt, dann werden sie ... genau! Sie werden hyperaktiv, impulsiv und unaufmerksam! Völlig richtig. Doch haben sie deshalb auch eine ADHS? Nein! Sie zeigen lediglich ein paar ADHS-Symptome.

Wer nur diese drei Symptome sieht, hat die ADHS nicht verstanden.

Zitat von SusanneG im Beitrag Schreibtischstuhl
ADHS ist eine Reizfilterschwäche sowie eine Störung der exekutiven Funktionen, der Emotionen und der autonomen Selbststeuerung. Alle Symptome einer ADHS sind Folgen der ADHS-Disposition - auch und vor allem die Unaufmerksamkeit, die Impulsivität und die Hyperaktivität.


Unter dem Begriff "exekutive Funktionen" versteht man

Zitat von Wikipedia
geistige Funktionen, mit denen Menschen ihr eigenes Verhalten unter Berücksichtigung der Bedingungen ihrer Umwelt steuern.
[...]
Zu den exekutiven Funktionen zählen unter anderem:

- das Setzen von Zielen,
- strategische Handlungsplanung zur Erreichung dieser Ziele,
- Einkalkulieren von Hindernissen auf dem Weg dahin,
- Entscheidung für Prioritäten,
- Impulskontrolle und emotionale Selbstkontrolle,
- das Arbeitsgedächtnis
- bewusste Aufmerksamkeitssteuerung,
- zielgerichtetes Initiieren, Koordinieren und Sequenzieren von Handlungen,
- motorische Umsetzung, Beobachtung der Handlungsergebnisse und Selbstkorrektur.

Es handelt sich also um die höheren mentalen und kognitiven Prozesse, die der Selbstregulation und zielgerichteten Handlungssteuerung des Individuums in seiner Umwelt dienen. Die EF können zusammenfassend als diejenigen psychischen Fähigkeiten verstanden werden, „die der Ausführung von Handlungen unmittelbar vorangehen oder sie begleiten.“ Auch Selbstmotivation, die Willensbildung und der Anstoß zum Beginnen einer Handlung (Initiative) werden den exekutiven Funktionen zugerechnet.


DAS sind die Dinge, die Menschen mit ADHS das Leben oft schwer machen und woüber sie, früher oder später, in ihrem Leben stolpern. Und wenn Du diese Zeilen oft genug gelesen hast, dann überleg noch mal neu, ob Du Deinen Sohn da evtl. einordnen kannst.

Wenn Du darüber hinaus konkrete Fragen hast: stell sie bitte ... dafür sind wir hier.

Liebe Grüße
lupa

Earth is flat, pigs can fly and ADHD doesn't exist..

 Antworten

 Beitrag melden
05.09.2016 22:16
avatar  Tilly Dunnage ( gelöscht )
#3
avatar
Tilly Dunnage ( gelöscht )

lupa, vielen Dank für deine Mühe und ausführliche Antwort. Ich fühle mich selbst noch unsicher auf dem Gebiet und habe natürlich auch bisher wenig Erfahrung.

Ich befürchte, dass die Probleme, dich ich jetzt mal unter "Behaglichkeitsstörungen im häuslichen Umfeld" einsortiere, größer werden mit zunehmenden Leistungsanforderungen in der Schule, dass das arme Kind trotz ausreichendem IQ im starren Schulsystem untergehen wird. Gerade wenn ich mir
deinen Ausschnitt über die EF ansehe, dann sind das Themen, die in der frühen Kindheit wohl nicht so sehr ins Gewicht fallen. Aber je älter man wird, desto sicherer sollte man das präsent haben.

Das private Institut sind Kinderpsychologen, die sich auf Sprachentwicklungsstörungen, LRS, etc. spezialisiert haben. Die zweite Testung wird beim Kinder- und Jugendspychiater durchgeführt. Ich hab natürlich nicht angenommen, dass Einrichtungen wie KiGa oder Schule eine Diagnose stellen, aber ich hätte angenommen, dass mir früher jemand rückgemeldet hätte, dass unser Kind sich irgendwie auffällig verhält.

Nun ja, für nächste Woche haben wir einen ersten Vorstellungstermin beim Kindertherapeuten und ich hoffe, dass der uns weiterhelfen kann.


 Antworten

 Beitrag melden
06.09.2016 09:17
#4
avatar

Herzlich Willkommen hier im Forum,

so wie du haben wir uns alle gefühlt - etwas ungläubig, etwas Erleichterung (eben doch keine Erziehungsfehler), etwas Zweifel (warum fiel das bisher niemanden auf?).

Ich z.B. hatte schon lange die Vermutung, dass mit meiner Tochter irgendwas anders ist. Ich habe immer wieder den Kinderarzt darauf angesprochen, ich war in einer sozialpädagogischen Einrichtung für Kinder und Jugendlichen, weil ich dachte es sind Erziehungsfehler. Auch da kam das Gespräch mal auf eine ADHS. Nein - wurde mir gesagt... ihre Tochter ist gaaaanz weit weg davon, sie ist lebhaft aber ADHS kann sie nicht haben.
Genauso in der 1. Klasse bei der Lehrerin... es gab Schwierigkeiten in Mathe. Meine Frage: könnte es sein, dass sie eine Rechenschwäche hat? ach quatsch, sie hat nur Startschwierigkeiten, machen sie sich mal keine Sorgen, das gibt sich.

Ehrlich gesagt, bin ich froh, dass sie aber der 2. Klasse einen anderen Lehrer bekommen hat. Er hatte dann endlich mal die Eingebung, hat mich angerufen und seine Beobachtungen berichtet. Hat gefragt ob ich damit einverstanden bin, dass mal die Schulpsychologin meine Tochter anguckt. Diesen Weg sind wir dann gegangen und das ist jetzt etwas über 1 Jahr her. Seit März oder April haben wir die Diagnose und seit Ostern bekommt sie ihre Medis.
Ich habe ein anderes Kind. Ich habe ein Kind mit dem man kochen kann (sie ist 9 J). Ich habe ein Kind das in der Schule Erfolgserlebnisse hat und dem Unterricht folgen kann, ich habe ein Kind was gerne und mit viel Spaß zur Schule geht, die sich in den Ferien mit ihren Schulsachen beschäftigt hat, freiwillig Mathe macht (trotz Dyskalkulie).

Und trotz allem ist sie immer noch meine kleine süße Schnecke, die verkuschelt ist, mit der man herrlich rumalbern kann, die auch mal sauer auf uns ist (Regeln einhalten ist glaub ich immer doof). Sie ist ein sozial engagiertes Kind, geht super mit unseren Tieren um, sie ist kreativ (denkt sich eigene Kochrezepte aus von dem man einiges sogar essen kann).

Ich bin echt sehr dankbar, dass sie einen so tollen Lehrer hat und wir endlich auf dem richtigen Weg sind.

Also keine Angst und nochmals herzlich Willkommen hier im Forum

LG Mona Lisa

Mutterglück ist das was eine Frau empfindet, wenn die Kinder abends im Bett sind.

 Antworten

 Beitrag melden
Bereits Mitglied?
Jetzt anmelden!
Mitglied werden?
Jetzt registrieren!