Vorstellung & Austausch

22.11.2019 14:16 (zuletzt bearbeitet: 22.11.2019 14:25)
avatar  Damokles ( gelöscht )
#1
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Damokles ( gelöscht )

Hallo liebe Community
Ich möchte mich gerne vorstellen und meine Situation schildern und würde mich über einen Austausch sehr freuen.

Ich bin 29 Jahre alt und komme aus der Schweiz. Ich studiere zurzeit Jura und werde voraussichtlich nächstes Jahr das Studium beenden. Zuerst habe ich eine 4-jährige Lehre als Polymechaniker abgeschlossen und habe direkt anschliessend die Hochschulreife (Abitur) im Selbststudium (mit einem Tag pro Woche Unterricht) nachgeholt. Während der Matura habe ich in sehr vielen verschiedenen Bereichen Vollzeit gearbeitet (Konnte aber keine Stelle länger halten).

Ich war ein sehr schlechter Schüler und wurde beinahe in die schlechteste Oberstufe eingeschult (Kleinklasse). Seit meiner Kindheit wurde ich eher als faul, „aufnahmeunfähig“ und sogar als dumm bezeichnet und wurde auch schnell als hoffnungslos eingestuft. Hinzu kam, dass ich sozial sehr viele Probleme hatte. Ich war der Nervige, der gemobbt und gemieden wurde (Aussenseiter). (Vermutungsweise) deswegen habe ich mich sozial noch weiter isoliert und habe heute noch extreme Mühe, eine Beziehung mit gleichaltrigen aufzubauen. Ich habe derzeit nur einen Freund (seit der Kindheit) der mich in seinen Freundeskreis miteinbezieht, mein einziger sozial Kontakt nebst der Kernfamilie (Vater und Bruder).
Ursprünglich wollte ich eine Therapie beginnen um mein „chaotisches“ Leben besser in den Griff zu bekommen. Vor irgendwelchen Therapien habe ich mich schon immer gescheut, sah mich aber gezwungen, etwas zu unternehmen. Ich habe mich vorher in die Fachliteratur eingelesen und hatte schon eine Vermutung (Zumal meine ungewöhnliche Art seit Kindheit bestand und mein Vater vermutungsweise auch ADHS hat). Als Wahlmodul habe ich hierfür die Forensische Psychiatrie gewählt, weil da auch ADHS behandelt wird.

Bei einer Abklärung mit Gesprächen und vielen verschiedenen Fragebögen in einer Praxis, die auf ADHS bei Erwachsenen spezialisiert ist, kam dann die Diagnose (vor paar Monaten). Ich habe dem Team meine Probleme erklärt und mir wurde nebst einer Verhaltens- auch eine medikamentöse Therapie empfohlen. (Die Diagnose war eine Erleichterung für mich, konnte mein Verhalten dadurch besser fassen)
Die medikamentöse Behandlung (1 Woche 10mg Focalin/d vormittags) verlief eher schlecht. Eine „Reizabschirmung“ konnte ich nicht feststellen. Eher das Gegenteil war der Fall: Ich wurde noch unruhiger (Vor allem in den Vorlesungen) und konnte mich nicht auf die Dozentin konzentrieren. Ich war noch schlechter gelaunt („du bist ja fast schon depressiv“) und konnte den Tag durch nichts erledigen (neu gekaufte Möbel aufbauen, Wohnung putzen) und bekam extreme Schlafprobleme.

In der Verhaltenstherapie geht es jetzt darum, mich besser kontrollieren zu können. Ich muss üben, den Impulsen nicht nachzugeben und falls eine Ablenkung eintritt, mich sofort wieder auf das Wichtige zu konzentrieren bzw. dafür sorgen, dass eine Ablenkung erst gar nicht eintritt. Klingt zwar gut, ist mir aber nicht möglich, da der Gedankenprozess, dass ich eigentlich etwas Wichtigeres zu tun hätte, viel zu spät eintritt.
Meine Hauptprobleme sind dabei die folgende: Es ist mir nicht möglich, für mehrere Stunden zu lernen (Ich versuche, denn Tag mit einer ToDo-Liste vorher zu planen und viel Routine einzubringen. am Freitag sind 8 Stunden geplant, ich sollte jetzt eigentlich was anderes machen). Ich lerne davon vielleicht maximal 1-2 Stunden. Ich werde von allem Mögliche abgelenkt (Email, YouTube, Smartphone, mit dem Stift spielen und mit den Beinen Zappeln, Schach spielen etc…). Ich habe zwar Abitur und Studium bisher (wie auch immer) meistern können, meine Leistungen widerspiegeln aber nicht mein Interesse für das Fach. Ich befürchte, dass es in der Berufswelt wegen meiner Art später zu Problemen kommen wird (wie ein Welpe, der von einem Thema zum nächsten springt und sich nicht fokussieren kann).

Auch habe ich (wenn auch nicht mehr so schlimme) soziale Probleme: Ich unterbreche die Leute immer ungewollt und werde sehr schnell ungeduldig, wenn sie (meiner Meinung nach) entweder zu langsam oder über ein langweiliges Thema reden oder nicht auf den Punkt kommen (Schnell folgt dann ein genervtes „Komm mal endlich zum Punkt“ was ich im Nachhinein bereue und die Stimmung vermiest). Oft versuche ich mich in die Diskussionen einzubringen, mache dann aber oft Gedankensprünge oder wechsle abrupt das Thema. Auch wegen meiner Dünnhäutigkeit lasse ich von Personen sehr schnell ab und drücke sie in eine Schublade (Habe deswegen bis jetzt fast jede romantische Beziehung sabotiert).
Ich besuche die Praxis jetzt schon seit längerem und irgendwie habe ich das Gefühl, nicht weiterzukommen. Ich sehe noch keine Möglichkeit der Besserung.

Meine Frage wäre, ob ihr ähnliche Probleme habt, falls ja, wie ihr damit umgeht und ob ihr mir irgendwelche Tipps geben könnt. Meine Ärztin hat die medikamentöse Therapie abgebrochen. Grund dafür ist, dass ich meine Symptome vermissen würde. (Ich habe zwar die Krankheit instrumentalisiert und hatte mich bis anhin damit abgefunden, würde aber ein geregelteres Leben vorziehen und das ADHS am liebsten „abschalten“)
Da ich eine sehr starke Tendenz zur Sucht habe (deswegen nehme ich seit einem Jahrzehnt keine Drogen mehr), vermeide ich jegliche falschgeleitete Selbstmedikation (auf welche Art auch immer, dazu zählt auch das Kasino/Gaming).

Vielen Dank im Voraus
Damokles

// Edit: Wurde doch ein längerer Text. Wollte ncoh anfügen, dass ich das Buch "ADHS im Erwachsenenalter" gekauft habe der gute Ratschläge zu haben scheint. Hat jemand Erfahrung mit solchen Ratgebern?


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23.11.2019 00:47
avatar  FaVe
#2
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Hallo Damokles,

Herzlich Willkommen im Forum. Sorry, dass erst heute eine Antwort kommt.

Danke für Deine strukturierte Vorstellung. Ich finde, Du hast schon viel erreicht: eine Lehrer abgeschlossen, Abitur nachgeholt, derzeit absolvierst du ein Studium, offensichtlich auch erfolgreich, denn der Abschluss steht an.

Du hast eine Diagnose, und bist in Therapie. Die Ziele der Therapie sind klar, aber so was dauert einige Zeit. Dass es dir nach ein paar Monaten kaum gelingt, dich nicht ablenken zu lassen, nachdem du jahre-, ja jahrzehntelang mit der Ablenkung gelebt hast, kaum verwunderlich. Immerhin hast du jetzt ein eigenes Bewustsein dafür, dass du dich ablenken lässt, wenn auch spät! Das ist auch schon mal gut.

Leider kenne ich die in der Schweiz zugelassenen Medikamente nicht. Hier in Deutschland hätte man vielleicht noch ein anderes Präparat versucht oder einen anderen Wirkstoff. Ich lese grade. Focalin enthält Dexmethylphenidas, in Deutschland enthalten die Medikamente Methylphenidad. Bei diesem Wirkstoff wäre 10 mg noch eine sehr niedrige Dosis, selbst wenn dieser Wirkstoff wohl im Verhältnis zu MPH nur in halber Dosierung verabreicht wird.

Zwar nehme ich keine Medikamente, sondern mein Kind, aber ich hätte schon behauptet, dass es ihm hilft, besser fokussiert zu sein. Bei Kindern sind oft Einschlafprobleme bei der medikamentösen Behandlung zu beobachten.

Zitat von Damokles im Beitrag #1
Grund dafür ist, dass ich meine Symptome vermissen würde. (


Also, deine Arztin sagt, dass du mit Medikamenten die Symptome vermisst? Meinst du das auch? aus deinem Test entnehme ich eher, dass dich Deine Symptome wie abgelenkt sein, Ungeduld sehr stören und einschränken. Da würde ich dort nochmal drüber reden.

ADHS lässt sich leider nicht abschalten, man kann sich aber damit arrangieren. Viele von uns kennen neben der Ablenkung auch den Hyperfokus, bei Themen, die einen wirklich interessieren, und das ist auch oft eine große Chance im Berufsleben: sich dann so in Themen reinzuhängen, dass man eine riesige Energie reinsteckt. Viele von uns haben in der Berufswelt ihren Platz gefunden, vielleicht nicht auf Anhieb, aber es wir haben ja auch positive Symptome: viele sind sehr kreativ, im Hyperfokus sehr engagiert....

Gibt es in Deiner Nähe veilleicht eine Selbsthilfe - Gruppe mit Erwachsenen? Im Austausch mit anderen kann man auch viel klären, die anderen ticken dann gleich, oft entstehen da gute Freundschaften unter Gleichgesinnten. Auch über die Wirkung verschiedener Medikamente ist sicher bei anderen Betroffenen noch einiges im persönllichen Gespräch zu erfahren.

Ich hoffe, ein paar Erwachsene melden sich noch, und erzählen Dir von ihren Erfahrungen und Strategien. Einige sehr gute musst du aber auch schon entwickelt haben, denn sonst würdest du nicht so was anspruchsvolles und in meinen Augen eher trockenes wie Jura studieren!
Grüße FaVe

Wenn Plan A nicht funktioniert ... kein Problem, das Alphabet hat noch 25 andere Buchstaben!

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29.11.2019 07:53
avatar  Isa ( gelöscht )
#3
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Isa ( gelöscht )

Hallo Damokles,

ich bin ebenso neu hier im Forum.
Als ersten Beitrag habe ich deinen gelesen und bin gleichermaßen erschrocken und erleichtert, dass es offenbar Menschen gibt denen es so geht wie mir.

Ich finde auch, dass du wahnsinnig stolz auf dich sein kannst Abitur und eine Lehre zu haben und jetzt zu studieren! Beim Studium bin ich leider klaglichst gescheitert.
Das Problem mit dem konzentrieren ist mir so schmerzlich bekannt! Mir geht es ähnlich, schon mein Leben lang. Das lernen fürs Studium war praktisch unmöglich. In der anschließenden Lehre habe ich meistens auf den letzten Drücker gelernt. Für durchschnittliche Noten hat es gereicht. Ich hatte aber immer das Gefühl, dass ich es deutlich besser gekonnt hätte.

Jetzt im Berufsalltag komme ich mal besser mal schlechter zurück. Interessant finde ich den Punkt 'Dünnhäutugkeit'. Mir geht es da genauso.
Wie gehst du damit um? Hast du eine passende Kompensationsstrategie gefunden?

Und auch das Thema Freunde ist bei mir ähnlich. Ich habe viele liebe Kollegen, die ich sehr schätze. Aber Freunde habe ich nur einen. Meistens kann ich damit umgehen, manchmal fühle ich mich aber doch sehr einsam.

Kurzum, ich freue mich deinen Betrag als erstes gelesen zu haben. Du machst mir Hoffnung, dass das mit dem Studium vielleicht doch noch irgendwann wird... :)

Liebe Grüße Isa


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02.12.2019 06:42
avatar  B.Zöpel ( gelöscht )
#4
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B.Zöpel ( gelöscht )

Hallo und herzlich Willkommen. Ich bin ebenfalls neu.

Zum Thema lernen:

Ich kann auch nicht Stunden am Stück lernen. So funktioniert mein Gehirn nicht. Ich plane kleine Einheiten. Dazwischen mache ich etwas anderes, in meinem Fall Haushalt. So wandere ich zwischn Lernen und Tätigkeiten hin und her. Und da funktioniert. Ich stelle mir den Timer.

Das Gute daran ist: Die Einheiten sind so, dass ich sie bewältigen kann. Das gibt ein Erfolgserlebnis. Welches beschwingt.

Außerdem lege ich mir meinen Tagesplan anhand von Karteikarten heraus. Ist etwas erledigt, räume ich sie weg. Auch das motiviert. Und sorgt dafür, das mein Kopf frei bleibt.

LG B.Zöpel


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