Das Gefühl, keine Hilfe zu bekommen
Hallo erstmal all,
vielleicht hilft es, sich mal ein wenig "auszuheulen" und mich und meine Erfahrungen mit ADS/ADHS vorzustellen.
Ich bin mittlerweile 50 Jahre, habe mit 40, nachdem ich mich aufgrund meiner Tochter intensiv mit dem Thema ADS und ADHS beschäftigt habe, sie und mich diagnostizieren lassen und wir haben beide ADS, was unser gemeinsames Leben nicht unbedingt leichter macht. Nachdem ich (endlich nach langen Irrwegen mit Diagnosen einer Depression bis hin zu Boderline) die Bestätigung bekommen hatte, dass es sich um ADS handelt und meine Tochter (mittlerweile 20 Jahre) auch, wurde mein Selbstverständnis besser. Es hat tatsächlich schon irgendwie geholfen, die Diagnose zu bekommen. Endlich zu verstehen, dass es nicht meine Schuld ist, dass ich nicht zu faul, dumm oder unfähig bin, sondern, dass es einfach unendlich mehr Kraft kostet, sein Leben zu leben, es auf die Reihe zu bekommen und eigentlich kein Versager zu sein. Ich war immer irgendwie ein Aufstehmännchen. Ständige Höhen und Tiefen. Seit 8 Jahren hab ich einen Job, sagen wir mal, mit dem ich ganz gut klar komme, der halbwegs zu mir passt. Ich hab mein Leben stark routiniert, habe 2 Hunde, mit denen ich rausgehen muss, den Job, der recht abwechslungsreich ist und zocke abends ein MMO. Mein Leben ist in klare Zeitfenster eingeteilt. Alles, was davon irgendwie abweichend passiert, stresst mich immer noch ungemein und ich bin am Ende eines solchen Tages völlig erschöpft.
Und nun sehe ich meine Tochter und habe das Gefühl, in einen Spiegel zu sehen. Sie hat mit 10 Jahren die Diagnose - ebenfalls nach langer Zeit - bekommen, Kinderarzt, immer wieder krank, Checking im Krankenhaus, nichts gefunden, einnässen bis ungefähr 7 oder älter, Psychologen, die mir erklärt hat, sie hätte eine mindere Intelligenz etc. Ich hab gekämpft, für sie gekämpft. Und es war ein Kampf bis sie endlich einen Test mit Medikinet gemacht hat und sich herausstellte, dass sie nicht dumm ist, sondern ADS hat und mit dem Medikament hat sie denn auch die Schule mehr oder weniger gut "überstanden".
Jetzt - seit nunmehr 3 Jahren - geht das Drama weiter bzw. fängt wieder an. Nach der Schule wusste sie nicht, was sie machen sollte. Ich habe ihr empfohlen, ein FSJ zu machen, dann, weil sie künstlerisch sehr talentiert ist, die FOS für Gestaltung. Sie hat es so hingenommen und das FSJ, nach vielen kranks abgebrochen, sich an der FOS beworben, die Aufnahmeprüfung sofort bestanden, ist zu Beginn des Schuljahres für drei Wochen abgehauen, um es dann doch zu versuchen und es nach drei Monaten wieder hinzuschmeißen, sich im Folgejahr wieder beworben, die Aufnahmeprüfung wieder bestanden, 5 Monate durchgehalten und es wieder abgebrochen. Beim Arbeitsamt eine Psycho-Test gemacht, Ausbildungsunfähigkeit bescheinigt bekommen, dass sie erst einmal eine Therapie machen solle... zwischendurch hat sie 1,5 Jahre bei einem Freund gewohnt.
In dieser Zeit habe ich das ganze Thema etwas verdrängt, es ging mir gut und ich hatte gefühlt mein Leben halbwegs im Griff. Seit einem halben Jahr ist sie wieder zu Hause und ich habe das Gefühl, selbst sozusagen, einen Rückfall zu bekommen.
Therapieplätze sind rar gesät, alle Versuche enden mit Vertrösten auf den Folgemonat, wenn sie da anruft. Ich fühle mich so hilflos, dabei zuzusehen, wie sie sich im Kreis dreht und einfach nichts passiert.
Nachdem ich zunehmend wieder unter extremen Schlafstörungen leide, dazu kommt, dass ich auf Arbeit eine neue Kollegin bekommen habe (wir sind ein sehr kleines Unternehmen), mit der ich nicht klar komme bzw. eher sie nicht mit mir, ist die Arbeit auch kein Ort mehr, in den ich mich flüchten kann, um - so komisch, wie das klingt - den Kopf frei zu bekommen. Meine Rückzugsorte sind keine Rückzugsorte mehr. Darum hatte ich mich jetzt erst einmal krank schreiben lassen. Meine Hausärztin hatte mir empfohlen, Hilfe zu suchen und einen Tipp für eine Beratungsstelle gegeben. Ich hab da angerufen, wir waren heute da.
Es ist so traurig! Ich hab kurz unsere Situation geschildert... und nachdem ich dann kurz meinen eigenen Lebens- / Leidensweg beschrieben hatte und auf ADS zu sprechen kam, kam als die spontane Reaktion: Modeerscheinung! Und das heute immer noch! Immer noch diese Ablehnung dieses Themas!
Ich habe in meinem Leben schon viele Therapien begonnen und wieder abgebrochen, weil ich das Gefühl hatte, nicht verstanden zu werden, stigmatisiert, herabrationalisiert auf Depression bis ich endlich - selbst - herausgefunden hab, dass es ADS ist, dass ich einfach ein bisschen anders ticke als andere. Kaum einer konnte in irgendeiner Form nachvollziehen, wie es mir geht, wenn ich darüber spreche, wenn ich beschreibe, wie ich mich fühle, wie schnell ich erschöpft bin, wie viel Kraft es mich kostet, Dinge in Angriff zu nehmen, Termine auf lange Sicht zu vereinbaren, diese dann auch einzuhalten und durchzuhalten. Ich bewundere immer meine Kollegin, wie sie es schafft, abends ihre Tochter noch rumzukutschen, jedes Wochenende etwas zu unternehmen, so aktiv zu sein. Mich stresst schon die Firmen-Sommerparty und ich fühle mich dann, als hätte ich die ganze Nacht durchgefeiert, auch wenn ich meist schon gegen 22 oder 23 Uhr die Feier verlasse. Ich kann keine belanglosen Gespräche mit für mich fremden Menschen führen, fühle mich von vielen Menschen total überfordert, mich immer irgendwie zusammenzureißen. So reduziere ich das auf ein Minimum. Ein Minimum an Außenreizen.
Meine Tochter ist da nicht anders. Sie lebt in ihrer klitzekleinen Welt mit Teamspeak und Online-Spielen, geht kaum raus und hat auch Angst vor Menschen. Sie hält es nicht aus, schafft nicht einmal, sich einen Minijob zu suchen.
Und nach dem heutigen Gespräch mit der Beraterin fühle ich mich wieder einmal so gar nicht ernst genommen. Es ist wie ein Rückfall! Ich will gern wieder in meinen Trott, mit dem ich recht gut klar komme, aber ich will auch meiner Tochter helfen, einen Weg zu finden, mit der Welt klar zu kommen und überhaupt einen Weg für sich zu finden. Ich will sie damit nicht allein lassen! Aber wie? Alles ist so zäh! Und ich fühle mich gerade einfach total hilflos.
LG Nay
#3
Liebe Nay,
herzlich willkommen bei uns im Forum. Hier bist du richtig, denn ich versichere dir, alleine der Austausch mit Menschen, die ähnlich ticken, hilft ungemein - ich spreche aus jahrelanger Erfahrung, ohne die Leute hier hätte ich so manche Krise hier im Haus vermutlich nicht durchgestanden.
Wir haben einige Gemeinsamkeiten: Ich bin 52, meine Töchter deiner Tochter wahnsinnig ähnlich, Anfang 20 und noch lange nicht so richtig in der Spur, von meinem Junior (19) fange ich gar nicht an, der lebt eigentlich nur noch in einer virtuellen Parallelwelt . Viele Jahre hatten wir zwei Hunde, jetzt nur noch einen - auch das ist ein Teil meiner Überlebensstrategie.
Ich hatte zwar einzelne Stunden Therapie, aber ansonsten eigentlich "nur" Unterstützung durch die Elterngespräche mit den Therapeutinnen meiner Kinder. Da wurden wir Eltern ein wenig mittherapiert, zum Glück.
Je älter ich werde, desto weniger kann ich Reize ertragen, desto mehr ruhige Zeit für mich selbst brauche ich. Leider nimmt mein Alltag darauf gar keine Rücksicht, und ich wirke nach außen auch ganz anders, viele würden nicht vermuten, wie viel Kraft es mich kostet, so scheinbar normal zu funktionieren.
Dass wir Erwachsenen immer noch keine gute therapeutische Versorgung haben, und dass ADHS immer noch von angeblichen Fachleuten als Modediagnose betitelt wird, ist so dermaßen frustrierend. Seit Jahrzehnten kämpft die Selbsthilfe darum, dass so etwas nicht mehr vorkommt, aber ich habe den Einruck, in den letzten Jahren geht es sogar wieder komplett rückwärts.
Meine Reaktion darauf ist, dass ich weit weniger über ADHS rede als früher. Ich korrigiere blödes Gerede, im Real Life oder virtuell, nur noch selten, sondern konzentriere mich auf mich selbst und meine Familie. Ich lerne immer noch viel dazu, freue mich über Tipps und hangle mich damit irgendwie durch. Es gibt gute Phasen und schlechte Zeiten, und je mehr blöde Zeiten man durchgestanden hat, desto mehr kann man in der Krise sich damit trösten, dass es auch wieder aufwärts gehen wird, irgendwie und irgendwann.
Das sind so meine Gedanken. Vielleicht tut es dir gut zu lesen, dass du nicht alleine bist. Erzähl ruhig mehr, oder eröffne einen neuen Strang zu einer konkreten Sache. So oder so viel Freude hier bei uns.
LG, Mandelkern
Hallo Nay,
vieles kommt mir sehr bekannt vor. Allerdings wurdemir die Diagnose nicht bestätigt, aber auch nicht ausgeschlossen. Mein erwachsener Sohn ist Autist und ADHSler. Er lebt mit seiner Freundin zusammen und hat Schwierigkeiten ein Studium oder Ausbildung zu machen. Allerdings erhält er Hilfe. Er erhält 10 Stunden, in denen jemand ihm bei der Strukturierung des Alltags und die Vorbereitung zum Studium hilft. Soetwas müsste Deiner Tochter auch zustehen.
Die Verzweiflung und das Gefühl zu versagen kenne ich, ebenso mich nicht verstanden zu fühlen. Noch schlimmer, mir wird nicht geglaubt. Zum Glük habe ich einen Psychiater, der mir gut zuhört, und auf mich eingeht, auch wenn ich ihn von meinem Autismus und ADHS erst überzeugen musßte.
Zwischenzeitlich war ich auch lange krankgeschrieben.
Was mir tatsächlich hilft, ist mich zunächst besser zu verstehen. Und auch die Art wie ich Denke. Das hilft mir meinen Alltag ganz anders zu gestalten. Dadurch konnte ich mir meinen Rückzugsort zu Hause einrichten.
Ich finde es sehr wichtig, nicht zu streng mit sich selbst zu sein. Sich selbst mal in den Arm zu nehmen.
LG B.Zöpel
Hi all,
vielen Dank für eure Antworten, aus denen ich endlich einmal heraus lese, dass jemand versteht, wovon ich rede.
Zitat von Mandelkern im Beitrag #3
Wir haben einige Gemeinsamkeiten: Ich bin 52, meine Töchter deiner Tochter wahnsinnig ähnlich, Anfang 20 und noch lange nicht so richtig in der Spur, von meinem Junior (19) fange ich gar nicht an, der lebt eigentlich nur noch in einer virtuellen Parallelwelt .
Wie gehst Du damit um?
Die Beraterin, bei welcher wir gestern waren, hat meiner Tochter nahe gelegt, zum Jugendamt zu gehen und Unterstützung zu beantragen für eine eigene Wohnung, dass sie auszieht. Auch, wenn ich die 1,5 Jahre als sie bei ihrem Freund gewohnt hat, genossen habe, muss ich zugeben, dass ich dezent innerlich Panik bekommen hab, bei der Vorstellung, sie allein oder in einer fremden WG zu sehen. Loslassen? Ja, sicher. Bei ihrem Freund wusste ich sie in guten Händen. Er ist tatsächlich erwachsen. Aber meine Tochter braucht wahrscheinlich noch ein paar Jahre, bis sie "erwachsen" ist. Ich selbst bin mit 19 bei meinen Eltern ausgezogen. Was für mich sicherlich in Ordnung war, da sie mich für faul und unvernünftig hielten und eventuelle Erklärungsversuche mit "musst Dich anstrengen" oder so ähnlich abgetan haben. Wobei ich mir nicht sicher bin, wer von beiden zum AD(H)S neigt, vielleicht ja beide. Meine Mutter war in ihren Gefühlen und Verständnis sehr sprunghaft und mein Vater Choleriker. Es war nie ein Rückzugsort für mich, sondern eher sehr unberechenbar.
Wenn ich das schreibe, frage ich mich, wie das wohl meine Tochter empfindet. Wir haben eigentlich ein recht gutes Verhältnis zueinander, gehen offen miteinander um (denke ich ).
Zitat von Mandelkern im Beitrag #3
Ich hatte zwar einzelne Stunden Therapie, aber ansonsten eigentlich "nur" Unterstützung durch die Elterngespräche mit den Therapeutinnen meiner Kinder. Da wurden wir Eltern ein wenig mittherapiert, zum Glück.
Mit der Psychologin meiner Tochter kam ich besser klar als sie. Im Nachhinein betrachtet wohl eher leider, da ich sonst wohl eher nach einer passenderen Therapeutin geschaut hätte. Wenn ich Deine Zeilen so lese, scheint die Therapie auch nicht wirklich viel gebracht zu haben?
Zitat von Mandelkern im Beitrag #3
Viele Jahre hatten wir zwei Hunde, jetzt nur noch einen - auch das ist ein Teil meiner Überlebensstrategie.
Auf den "Hund" gekommen, bin ich mit 22 Jahren. Und hab immer gesagt, sie hat mir das Leben gerettet. Die längste Zeit, die ich ohne Hund gelebt hab, waren zwei Wochen. Isso... Teil der Überlebensstrategie!
Zitat von Mandelkern im Beitrag #3
Je älter ich werde, desto weniger kann ich Reize ertragen, desto mehr ruhige Zeit für mich selbst brauche ich. Leider nimmt mein Alltag darauf gar keine Rücksicht, und ich wirke nach außen auch ganz anders, viele würden nicht vermuten, wie viel Kraft es mich kostet, so scheinbar normal zu funktionieren.
Ob ich weniger Reize als früher ertrage, kann ich gar nicht so sagen. Ich mochte noch nie Partys oder öffentliche Ereignisse und war schon immer sehr schnell gestresst, habe aber eher das Gefühl mit den Jahren ruhiger geworden zu sein - auch innerlich -, was aber auch daran liegen kann, dass ich kaum noch etwas tue, von dem ich denke, dass es mir nicht gut tut, dass ich viele Kontakte meide und - sozusagen - meine Rückzugsorte pflege, wie einen Schatz. Ich habe wenige Freunde, eigentlich nur eine richtige Freundin und die schon seit über einem viertel Jahrhundert.
Menschen, wie diese Beraterin von gestern, bringen da natürlich sehr leicht wieder Selbstzweifel auf. Diese und einige frühere Erfahrungen haben wohl auch eine Art Therapeutenphobie bei mir entstehen lassen. Leider kommt man um diese Menschen nicht ganz herum, wenn bspw. meine Tochter wieder eine Medikation bekommen soll, was ich persönlich für sie als sinnvoll erachte.
LG Nay
Hi, vielen Dank, das klingt interessant.
Zitat von B.Zöpel im Beitrag #4
Allerdings erhält er Hilfe. Er erhält 10 Stunden, in denen jemand ihm bei der Strukturierung des Alltags und die Vorbereitung zum Studium hilft. Soetwas müsste Deiner Tochter auch zustehen.
Das habe ich gestern versucht, der Beraterin zu verklickern, dass es vermutlich sinnvoll wäre, wenn meine Tochter eine Art Begleiter, der ihr mit Rat und Tat zur Seite steht, bekäme. Darauf ist sie gar nicht eingegangen. Wie habt ihr das gemacht? Wo könnte man eine solche Hilfe bekommen?
LG Nay
Gestern hat meine Tochter gemeint: "Ich will kein ADS haben, eben weil einen da keiner ernst nimmt."
Seit geraumer Zeit versuche ich sie dazu zu bewegen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, weil ich irgendwie das Gefühl habe, dass sie es verdrängt. Sie wäre lieber bipolar oder irgendwas andres Interessantes.
Liebe Nay,
herzlich Willkommen im Forum!
Schön, dass du uns gefunden hast: wir hier kennen das Thema mit der Umwelt, die einen meistens nicht ernst nimmt oder von Modeerscheinung redet. Wobei ich das eher bei wohlmeinenden Bekannten und Familiemitgliedern erlebt habe, bei Beratern ist schon wirklich krass.
Für Euch beide, Mutter und Tochter, wäre aber vielleicht eine Selbsthilfegruppe der richtige Anlaufpunkt: Leute, die das gleiche erleben, sich unterstützen und für Behandlungen, Ärtze und Theraputen in der Umgebung die besten Tipps aus eigener Erfahrung haben. Da würdet ihr Ernst genommen! Guck mal bei www.adhs-deutschland.de nach Selbsthilfe. Da gibt es auch spezielle Ansprechpartner für junge Erwachsene.
Ich bin hauptsächlich hier, weil mein Sohn betroffen ist. Sicher habe ich auch Züge von ADHS, das fällt ja nicht vom Himmel, aber keine Diagnose und keine Behandlung.
Ich habe noch nicht so ganz verstanden, warum die Beraterin deiner Tochter zum Auszug geraten hat? Wie ist denn die Zeit mit Ihrem Freund genau gelaufen? Was konnte er ihr an Unterstützung geben?
Für Dich ausgesprochen schade finde ich, dass Du Dich bei Deiner Arbeit nicht mehr wohl fühlst. Was macht den Umgang mit der neuen Kollegin denn so schwer? Habt Ihr probiert darüber zu reden, evtl. moderiert durch eine Vorgesetzten?
Grüße FaVe
Zitat von Nay im Beitrag #1
Meine Hausärztin hatte mir empfohlen, Hilfe zu suchen und einen Tipp für eine Beratungsstelle gegeben. Ich hab da angerufen, wir waren heute da.
Es ist so traurig! Ich hab kurz unsere Situation geschildert... und nachdem ich dann kurz meinen eigenen Lebens- / Leidensweg beschrieben hatte und auf ADS zu sprechen kam, kam als die spontane Reaktion: Modeerscheinung! Und das heute immer noch! Immer noch diese Ablehnung dieses Themas!
Was für eine Beratungsstelle war das denn???
Sowas ist ungemein frustrierend, habe das Anfang der Woche ähnlich mit meinem Betriebsarzt erlebt, dessen Unterstützung ich eigentlich brauche. Bin immernoch sauer, aber lasse mich von sowas nicht mehr klein machen und finde andere Wege, meine Interessen durchzusetzen, auch wenn es schwer ist.
Zitat von Nay im Beitrag #7
Seit geraumer Zeit versuche ich sie dazu zu bewegen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, weil ich irgendwie das Gefühl habe, dass sie es verdrängt. Sie wäre lieber bipolar oder irgendwas andres Interessantes
Vielleicht schaffst du es, so wie FaVe auch schon vorschlägt, sie in eine Selbsthilfegruppe zu bekommen, ggf. erstmal gemeinsam mit dir?
Wenn sie hört, dass es anderen (nicht nur ihrer Mutter) ähnlich geht, ist sie für das Thema ADHS vielleicht offener und interessierter?
Habe das letztens in meiner SHG erlebt, die ersten Male kam der Vater alleine und dann brachte er den Sohn (21 J.) mal mit, der wollte wohl zuerst gar nicht dort sein, taute dann aber tatsächlich auf und er kam dann letztens auch zum zweiten Mal.
Zitat von Nay im Beitrag #5
Menschen, wie diese Beraterin von gestern, bringen da natürlich sehr leicht wieder Selbstzweifel auf. Diese und einige frühere Erfahrungen haben wohl auch eine Art Therapeutenphobie bei mir entstehen lassen. Leider kommt man um diese Menschen nicht ganz herum, wenn bspw. meine Tochter wieder eine Medikation bekommen soll, was ich persönlich für sie als sinnvoll erachte.
Auch hier können dir Leute in der SHG vor Ort i.d.R. Tipps geben, welche Therapeuten und Ärzte zu empfehlen sind. Es sind ja leider wenig genug... Aber dann läufst du nicht Gefahr, dich noch mehr wegen der "Modekrankheit" herunterziehen zu lassen.
LG JaNi
#10
Zitat von Nay im Beitrag #5Zitat von Mandelkern im Beitrag #3
Wir haben einige Gemeinsamkeiten: Ich bin 52, meine Töchter deiner Tochter wahnsinnig ähnlich, Anfang 20 und noch lange nicht so richtig in der Spur, von meinem Junior (19) fange ich gar nicht an, der lebt eigentlich nur noch in einer virtuellen Parallelwelt .
Wie gehst Du damit um?
Die Beraterin, bei welcher wir gestern waren, hat meiner Tochter nahe gelegt, zum Jugendamt zu gehen und Unterstützung zu beantragen für eine eigene Wohnung, dass sie auszieht. Auch, wenn ich die 1,5 Jahre als sie bei ihrem Freund gewohnt hat, genossen habe, muss ich zugeben, dass ich dezent innerlich Panik bekommen hab, bei der Vorstellung, sie allein oder in einer fremden WG zu sehen. Loslassen? Ja, sicher. Bei ihrem Freund wusste ich sie in guten Händen. Er ist tatsächlich erwachsen. Aber meine Tochter braucht wahrscheinlich noch ein paar Jahre, bis sie "erwachsen" ist.
Wie ich damit umgehe?
Ich habe mich im Laufe der Jahre immer unabhängiger gemacht von der Meinung des Umfelds und auch von der Meinung irgendwelcher Möchtegernexperten. Man sieht ja schon hier im Fred, wie viele von uns erleben, dass angebliche Fachleute genau gar keine Ahnung von AHDS haben .
Du spürst und siehst selbst, dass deine Tochter noch nicht reif genug ist, alleine zu leben. Nun ist es leider so, dass wir in einer Zeit leben, in der Kinder und Jugendliche gar nicht schnell genug selbständig sein können. Ich bin noch nicht so ganz dahinter gekommen, was diese idiotische Mode für einen Hintergrund hat, aber frühestmögliche Abnabelung scheint lebenswichtig zu sein - was für ein Quatsch!
Solange es keinen wichtigen Grund dafür gibt, lass deine Tochter einfach "nachreifen". Hat sie noch ein Zimmer bei dir, ist es finanziell tragbar? Dann gib ihr Zeit und Nestwärme.
Menschen mit ADHS reifen meistens sehr verzögert, man kann bis zu 30 % vom kalendarischen Alter abziehen, dann sieht man die seelische Reife. Bei meinen Kindern passt das ganz gut. Okay, an manchen Tagen könnte ich 80 % der Jahre abziehen .
Zitat von Nay im Beitrag #5
Ich selbst bin mit 19 bei meinen Eltern ausgezogen.
Ich bin auch mit 19 ausgezogen, bzw. ausgezogen worden. Meine Eltern sind sehr egozentrisch, ich war nie so, wie sie es sich gewünscht haben (kein "richtiges" Mädchen), und ich hatte einen Freund, der ihnen nicht passte, weil kein Akademiker. Sie sind selbst keine Akademiker, aber da ist es ja etwas anderes. Den Freund habe ich immer noch, wir sind schon lange verheiratet, soooo übel war er also nicht.
Aber ich habe in meiner Kindheit keinerlei Geborgenheit erfahren. Deshalb ist es mir sehr wichtig, dass meine Kinder daheim reifen dürfen, solange sie es brauchen, und zwar egal, was andere dazu sagen. Meine Älteste ist kurz nach dem Abi ausgezogen auf eigenen Wunsch, weil sie in Uninähe sein wollte, aber es hat sie sehr überfordert, sie kam wieder zurück und war sehr traurig, dass sie es nicht geschafft hatte. Jetzt ist sie deutlich reifer, und ich glaube ihr, dass sie nächstes Jahr, wenn sie einen Job hat, das "Nest" endgütlig verlässt. Sie ist dann 25 - na und?
Zitat von Nay im Beitrag #5
Wenn ich das schreibe, frage ich mich, wie das wohl meine Tochter empfindet. Wir haben eigentlich ein recht gutes Verhältnis zueinander, gehen offen miteinander um (denke ich ).
Frag sie. Rede offen mit ihr. Erzähle ihr von deinen eigenen Erfahrungen. Bleib mit ihr im Gespräch.
Zitat von Nay im Beitrag #5Zitat von Mandelkern im Beitrag #3
Ich hatte zwar einzelne Stunden Therapie, aber ansonsten eigentlich "nur" Unterstützung durch die Elterngespräche mit den Therapeutinnen meiner Kinder. Da wurden wir Eltern ein wenig mittherapiert, zum Glück.
Mit der Psychologin meiner Tochter kam ich besser klar als sie. Im Nachhinein betrachtet wohl eher leider, da ich sonst wohl eher nach einer passenderen Therapeutin geschaut hätte. Wenn ich Deine Zeilen so lese, scheint die Therapie auch nicht wirklich viel gebracht zu haben?
Meine Älteste hatte nur wenige Therapiestunden, sie verweigert Therapie. Und ja, das merkt man leider deutlich, aber ich kann sie ja nicht zwingen.
Die beiden jüngeren Kinder hatten viele Jahre Therapie. Aber ja, sie haben trotzdem ADHS , sie wurden nicht geheilt, sie sind nicht "normal", sie schaffen momentan keinen geraden Lebensweg. Das bedeutet aber keinesfalls, dass die Therapie nichts gebracht hat. Alle meine Kinder hatten die ersten Suizidgedanken bereits in der ersten Klasse . Nur dank therapeutischer Unterstützung kamen sie irgendwie durch die Schulzeit, und es waren Jahre der Hölle. Sie haben in der Zeit sehr viel gelernt, Strategien, wie man trotz ADHS gut leben kann, Wissen über sich selbst, und vor allem das Wissen, wie sie für sich selbst ein halbwegs artgerechtes Leben aufbauen können.
Zitat von Nay im Beitrag #5
Menschen, wie diese Beraterin von gestern, bringen da natürlich sehr leicht wieder Selbstzweifel auf. Diese und einige frühere Erfahrungen haben wohl auch eine Art Therapeutenphobie bei mir entstehen lassen. Leider kommt man um diese Menschen nicht ganz herum, wenn bspw. meine Tochter wieder eine Medikation bekommen soll, was ich persönlich für sie als sinnvoll erachte.
Ja, solche unfähigen "BeraterInnen" begegnen einem immer wieder. Da hilft einfach nur, die eigene Störungsbildkenntnis zu verbessern. Je mehr man weiß, desto schneller durchschaut man falsche Ratschläge, desto weniger kann man verunsichert werden. Ich habe mir im Laufe der Jahre für die viele LeererInnengespräche, Jugendamtstermine und ähnliches innerlich Textbausteine bereitgelegt. Dazu dann auch ein paar Fachbegriffe immer vor kritischen Gesprächen wieder herausgekramt, damit meine Gegenüber möglichst schnell gemerkt haben, dass sie mir nicht mit ihrem üblichen Programm zu kommen brauchen.
Dabei liebe ich den so gerne genannten Vorwurf, dass Muddern "nicht loslassen" kann geradezu . Dafür habe ich einen eigenen Textbaustein, den ich wegen der Erkennbarkeit hier nicht schreiben kann, aber der sitzt immer .
Übrigens: wäre deine Tochter mit 17 ausgezogen und so auffällig geworden, dass das Jugendamt hätte eingreifen müssen, wäre der Vorwurf gekommen, dass ihr eine schlechte Bindung habt und du sie zu früh hast gehen lassen - merkst du's? Es ist völlig Banane, was man wie macht, denn es ist eh immer "falsch". Jede Familie muss da ihren eigenen Weg finden. Ihr seid da schon ganz gut unterwegs, finde ich.
LG, Mandelkern
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